Ueber den Himmel hinaus - Roman
Tage, die ihr Vater vor seinem Tod im Krankenhaus gelegen hatte. Damals war Natalja gelangweilt, deprimiert und ungezogen zugleich gewesen. Doch nachdem Sofi erwähnt hatte, es sei wichtig, mit Nikita zu reden, setzte sich Natalja gleich zu ihm ans Bett, nahm seine Hand und redete stundenlang ohne Punkt und Komma. Sie erläuterte die Entstehung eines Films und versprach ihm sogar eine Reise nach Disneyland, sobald er wieder gesund war. Nikita zeigte keine Reaktion, aber Sofi musste zugeben, dass ihr nicht so schwer ums Herz war wie sonst, als sie sich wieder auf den Heimweg machten.
Als Sofi spätnachts ins Schlafzimmer ging, hörte sie aus Nataljas Zimmer unterdrücktes Schluchzen. Sie klopfte leise an und trat ein.
Natalja drehte sich um, die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sofi schloss die Tür, setzte sich neben Natalja aufs Bett und legte einen Arm um sie.
»Es ist nicht fair«, schniefte Natalja. »Ich habe ihn geliebt, Sofi. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich jemanden wirklich geliebt.«
Ihr knochiger Rücken bebte. Sofi tätschelte sie behutsam. »Nicht weinen.«
»Ich sollte mich wieder auf die Suche nach Arbeit machen, aber ich habe solchen Liebeskummer, dass ich mich am liebsten vor der ganzen Welt verstecken würde.«
»Das kannst du gern hier tun. So lange du willst.«
Natalja machte sich los und lehnte sich zurück. »Ich bin so egoistisch. Ich habe mir geschworen, dir nicht mit meinen Problemen in den Ohren zu liegen.«
»Schon gut. Du leidest, genau wie ich.« Sofi ging zur Kommode und reichte Natalja eine Schachtel Kosmetiktücher.
Natalja schneuzte sich. »Lena leidet auch.«
Sofi antwortete nicht. Sie würde ein paar Regeln aufstellen müssen. Wenn Natalja unter ihrem Dach wohnen wollte, durfte sie Lena nicht ständig erwähnen. Ihr Herz war auch so schon schwer genug.
KAPITEL 49
Lena erwachte mit einem steifen Nacken, einem schmerzenden Rücken und einem brummenden Kopf. Als sie sich aufrichtete, fiel ihr wieder ein, wo sie war. Sie lag auf einer Decke auf dem Fußboden ihres Hauses. Neben ihr stand eine leere Flasche Wodka. Von der Kerze war nur noch eine hart gewordene Pfütze aus Wachs übrig. Die Fensterläden waren geschlossen, aber aus dem Vogelgezwitscher draußen schloss sie, dass es Tag sein musste. Sie erhob sich, sehnte sich nach sauberem, fließendem Wasser. Schlurfte durch die Küche in den Hintergarten.
Dort setzte sie sich auf den vom Tau feuchten Bretterzaun und ließ den Blick über den Garten gleiten, der in der Morgensonne dalag. Ihr Garten. Aber nicht mehr lange.
Sie kam finanziell kaum noch über die Runden, seit Sam sie nicht mehr unterstützte. Miete und Rechnungen verschlangen den Großteil ihres Gehalts, und sie konnte in keine kleinere Wohnung ziehen, weil die Kinder einen Platz zum Schlafen brauchten, wenn sie an den Wochenenden zu ihr kamen. Sam hatte zwar bislang noch kein Geld von ihr verlangt, aber bereits mehrfach angedeutet, dass Matthew wohl eine Zahnspange brauchen würde.
Und natürlich kostete auch ihre Alkoholsucht.
Also hatte sie sich irgendwann durchgerungen, das Haus doch zu verkaufen. Dann konnte sie sich ein Auto anschaffen, problemlos die Miete und Matthews Zahnregulierung bezahlen und eventuell sogar einen Computer für die Kinder kaufen.
Gestern Nachmittag hatte sie das Allernötigste zusammengepackt und war nach Little Ayton gefahren, mit zwei verschiedenen Bussen, um sich von der einzigen Immobilie,
die sie vermutlich je besitzen würde, gebührend zu verabschieden. Nach dem halbstündigen Fußmarsch von der Haltestelle war sie verschwitzt und erschöpft bei ihrem Haus angekommen. Sie hatte hier draußen auf dem Zaun angefangen zu trinken und war erst bei Einbruch der Nacht hineingegangen. Um acht sollte der Makler kommen.
Lena saß auf dem Bretterzaun, bis sich ihr Hintern ganz taub anfühlte. Sie hörte, dass ein Auto hielt. Der Makler war offenbar früh dran. Sie reckte den Hals und sah zu ihrer Überraschung Sam auf sie zukommen. Er hielt ein Pappgestell mit zwei Bechern in der Hand. Kaffee! Genau das brauchte sie jetzt.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
»Ich bringe dir Kaffee.«
Er hielt ihr einen Becher hin und ließ sich neben ihr nieder. Sie nahm dankbar einen Schluck. Der Kaffee war nur noch lauwarm, aber die Bitterkeit sorgte dafür, dass sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete.
»Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?«
»Hab ich nicht. Ich habe bei dir zu Hause angerufen, und du warst nicht da,
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