Ueber den Himmel hinaus - Roman
glanzvoll. Die Leute fuhren herum, starrten sie verblüfft an. Sie kam ihnen bekannt vor, aber nicht so bekannt, dass sie aufsprangen, um sie um ein Autogramm zu bitten. Nicht wie früher, als sie noch bei Lonely Shores mitgespielt hatte. Trotzdem fühlte sich Lena in ihrer Gegenwart nichtssagend und abgezehrt.
An ihrem Tisch angelangt, blieb Natalja unsicher stehen. Lena deutete mit dem Kopf auf einen freien Stuhl und hätte heulen können, wenn sie an die Zeiten dachte, als sie bei solchen Gelegenheiten aufgesprungen und ihrer Schwester um den Hals gefallen war.
Natalja setzte sich. »Danke, dass du eingewilligt hast, mich zu treffen.«
»Danke, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast.«
»Hast du schon bestellt?«
Lena schüttelte den Kopf. Sie würde Natalja nicht auf die Nase binden, dass sie sich nicht einmal einen Kaffee für siebzig Pence leisten konnte. »Ich will nichts.«
»Unsinn.« Natalja schnaubte. »Kaffee und Kuchen. Das geht auf mich.« Sie schaffte es, eine Bedienung herbeizuwinken, indem sie ostentativ mit ein paar Geldscheinen wedelte, obwohl man am Tresen bestellen musste. Während sie auf ihren Kaffee warteten, erzählte Natalja ihrer Schwester von den Fortschritten, die Nikita bis zu ihrer Abreise nach London gemacht hatte. Es war Samstag, das Café füllte sich. Lena wünschte sich einen weniger exponierten Tisch. Eine weniger auffällige Schwester.
»Also.« Natalja stützte sich auf die Ellbogen und fixierte
Lena mit ihren großen blauen Augen. »Ich finde, wir sollten uns diesen Winter wieder einmal treffen, alle drei.«
Lena blinzelte. »Bist du übergeschnappt? Sofi will mich nicht sehen und ich dich nicht.«
»Und warum sitzt du dann hier?«
Lena schluckte eine bissige Bemerkung herunter. »Vergiss es. Das ist vorbei. Wir sind nicht mehr die, die wir einmal waren.«
»Sind wir doch. Dieselben Herzen, dieselben Erinnerungen, dieselbe Vergangenheit.« Natalja legte eine theatralische Pause ein. Das war eine ihrer ärgerlichsten Angewohnheiten. Als wäre das ganze Leben eine Seifenoper und sie der Star. »Wenn du mir verzeihst, dann würde Sofi dir auch verzeihen, da bin ich sicher.«
Lena schüttelte den Kopf. »Woher willst du das wissen?«
»Sofi ist wie ein offenes Buch. Seit Nikita auf dem Weg der Besserung ist, hat sie keinen Grund mehr, dir böse zu sein. Und wenn sie sähe, dass du dich mit mir versöhnt hast, würde sie deinem Beispiel garantiert folgen.«
Eine ganze Reihe unausgesprochener Gefühle schnürte Lena die Kehle zu. »Nein«, würgte sie hervor. »Ich kann nicht.«
»Warum denn nicht?« Natalja war die Verärgerung anzuhören, obwohl sie keine Miene verzog.
»Wenn ich dir verzeihe, müsste ich auch Sam verzeihen.«
»Und was wäre so schlimm daran?«
»Alles. Wenn Sams Vergehen verzeihlich ist, wozu habe ich mich dann überhaupt von ihm getrennt und mich derart ins Unglück gestürzt? Jetzt kommt er nicht mehr zu mir zurück.«
Würde sie so den Rest ihres Lebens zubringen? Einsam, von ihren Kindern entfremdet und in dem Wissen, dass sie
alles kaputt gemacht hatte, wegen eines bedeutungslosen, entschuldbaren Fehltritts?
»Willst du ihn denn zurück? Liebst du ihn noch?«
Lena blieb ihr die Antwort schuldig. Sie musste ihr Herz vor ihrer Schwester schützen. »Ich könnte es dir erklären, aber du würdest es nicht verstehen.«
Natalja machte beleidigt einen Schmollmund. »Woher willst du das wissen?«
»Weil du doch immer alles zu deinen Gunsten und zu meinen Ungunsten betrachtest.«
Natalja runzelte die Stirn. »Meinst du das ernst?«
»O ja.«
»Dann würdest du mich auch nicht verstehen.« Natalja schob den unberührten Teller von sich und stand auf. »Ich hätte mir den Weg hierher sparen können.«
Lena umklammerte die Tischplatte. Sie war nahe daran, einzulenken, »Geh nicht!« zu rufen. Stattdessen zischte sie: »Das habe ich dir doch schon am Telefon klarzumachen versucht.«
Natalja verdrehte genervt die Augen, genau wie früher. »Lass uns dieses Gespräch auf ein andermal verschieben, wenn du nicht mehr so stur und selbstgefällig bist.«
»Und du nicht mehr so eingebildet und gedankenlos.«
Natalja stolzierte hinaus, und Lena bemerkte, dass sie von den anderen Anwesenden unauffällig angestarrt wurde. Sie trank mit gesenktem Kopf ihren Kaffee aus und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Sie hatte sich eine Chance entgehen lassen, eine Gelegenheit, alles zu ändern. Aber sie befand sich in einer Sackgasse. Es war bereits
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