Ueber den Himmel hinaus - Roman
zwei Tage lang ausschließlich über sich zu reden, während katzbuckelnde Angestellte um sie herumschwirrten.
»Wir sind dann so weit, Natalie«, verkündete eine selbstbewusste junge Journalistin. Sie arbeitete bei einem alternativen Kabelsender und war für die Kino-News zuständig. Am Vormittag fanden sämtliche Fernsehinterviews statt, die Vertreter der Printmedien kamen am Nachmittag, und am darauffolgenden Tag würde Natalja im Radio zu hören sein.
Man bat sie um eine Probeaufnahme, dann wurde noch einmal etwas an der Beleuchtung geändert, ehe es endlich losging. Die Fragen waren nichts Neues. Es ging großteils darum, wie mutig sie war, wie sehr sich Lilja von ihren bisherigen Rollen unterschied. Natalja strich sich das Haar über die Schulter und mimte die ernst zu nehmende Schauspielerin, in deren Augen Schönheit und Glamour belanglos waren und nur Hindernisse auf dem Weg zu wahrer Kunst darstellten, was natürlich nicht ihren tatsächlichen Ansichten entsprach.
Bei Leida Frost waren bereits diverse ähnliche Angebote
für sie eingetrudelt - hochkarätige Rollen in hochkarätigen Fernsehproduktionen und Kunstfilmen, von denen Natalja alles andere als begeistert war. Sie sollte eine Obdachlose spielen, die eigentlich Millionärin war; eine Mutter, deren Sohn von der Russenmafia entführt worden war; eine Anwältin, die sich zu lange auf ihre Karriere konzentriert hatte und nun verzweifelt versuchte, ein Kind zu adoptieren. Wie um Himmels willen hatte sie es geschafft, mit siebenunddreißig als Besetzung für eine Frau in den Wechseljahren auserkoren zu werden? Natalja wollte keine düsteren Dramen, sie wollte Liebeskomödien oder erotische Thriller.
In den Pausen tat sie, als würden sie die Interviews fürchterlich anöden, doch sobald die Kamera lief, blühte sie auf. Jemand erkundigte sich, was sie zu Mittag essen wolle, und sie bestellte das teuerste Gericht auf der Karte, nur um es dann nicht anzurühren. Nachdem die Scheinwerfer abgebaut waren, sprachen die Journalisten diverser Zeitungen und Magazine einzeln bei ihr vor, und Natalja beantwortete zum x-ten Mal dieselben Fragen. Schließlich stand ihr letztes Gespräch bevor.
Ihre PR-Managerin, eine Blondine, die aussah, als wäre sie höchstens neunzehn, wandte sich mit besorgter Miene an Natalja. »Da ist jemand, der nicht auf meiner Liste steht. Ein Ted Aston vom Gentlemen’s Club .«
»Das ist in Ordnung, ich habe ihn eingeladen«, erwiderte Natalja. »Sie können jetzt gehen, wenn Sie wollen.«
Natalja bat Ted, gegenüber von ihr Platz zu nehmen und betrieb Smalltalk, während sich der Raum allmählich leerte. Als sie endlich allein waren, sagte sie: »Sie meinten, ich solle mich wieder melden, wenn ich ein neues Projekt vorzuweisen habe.«
Er lehnte sich mit einem trägen Lächeln zurück. »Ich freue mich, dass Sie uns kontaktiert haben, aber sind Sie auch ganz sicher, dass Sie das wollen?«
»O ja. Es sollen alle sehen, dass ich keine verblassende Schönheit bin, sondern in voller Blüte stehe.«
»Diesem Wunsch komme ich nur zu gern nach. Ich freue mich schon sehr darauf, zu sehen, was Sie zu bieten haben, Natalie.«
Sein lockerer Charme und sein exquisiter Modegeschmack verfehlten ihre Wirkung nicht. Mit einem Mal empfand Natalja eine unerklärliche Scheu. »Bitte, ich heiße Natalja. Nur Leute, die mich nicht kennen, nennen mich Natalie.«
»Nun, Natalja.« Er schob den Ärmel seines perfekt gebügelten Hemdes zurück und warf einen Blick auf seine Rolex . »Jetzt ist es fünf Uhr. Sollen wir diese Angelegenheit vielleicht bei einem Drink diskutieren?«
Sie lächelte. »Sehr gern, Ted.«
Lena saß in einem Café in Briggsby und zerrupfte ihre Serviette, während sie auf Natalja wartete. Sie bereute es bereits, dass sie eingewilligt hatte, ihre Schwester hier zu treffen. Bestimmt würde sie jemand erkennen und Sam informieren, und sie wollte unter allen Umständen verhindern, dass er Natalja je wiedersah.
Sie wusste nicht, warum sie hier war. Sie hatten einander nichts zu sagen. Aber durch ihren eigenen unverzeihlichen Fehler und die qualvolle Zeit des Wartens danach war ihr Entschluss, Natalja bis in alle Ewigkeit zu zürnen, ins Wanken geraten. Was konnte es schon schaden, mit ihr zu reden? Vielleicht würde sie auf diese Weise zumindest etwas über Nikitas Genesung erfahren.
Als die Kaffeemühle knirschend aufheulte, schreckte Lena hoch und sah ihre Schwester auf sich zukommen. Groß, schlank und unbeschreiblich
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