Ueber den Himmel hinaus - Roman
also habe ich angenommen, dass du schon gestern Abend hergefahren bist. Anna hat mir von dem Termin mit dem Makler erzählt.«
Lena stiegen Tränen in die Augen. Sie wandte den Kopf ab.
»Ich dachte, du könntest vielleicht eine Mitfahrgelegenheit zurück nach Briggsby brauchen«, murmelte er verlegen.
»Danke, Sam.« Zwei alltägliche Worte, die für Tausende unausgesprochene standen. »Und wie kommen die Kinder in die Schule?«
»Anna wollte unbedingt zu Fuß gehen. Mum hat versprochen,
ihr in sicherer Entfernung mit Matthew zu folgen.« Sam lachte. »Anna ist so selbstständig.«
»Das musste sie auch sein, die Ärmste«, stellte Lena fest. »Matthew war ja immer so anhänglich. Glaubst du, wir sind alle von unserer Kindheit geprägt?«
»Keine Ahnung. Schon möglich.«
»Mein Vater hat mich angerufen, vor ungefähr einem Monat.«
Seine Augen blitzten empört auf. Er fühlte sich offenbar immer noch als ihr Beschützer, obwohl sie getrennt waren. »Was wollte er denn?«
»Sich entschuldigen, ob du es glaubst oder nicht.«
»Das glaube ich tatsächlich nicht.«
»Ich hatte den Eindruck, dass er es ernst gemeint hat. Er hat mich gebeten, ihm zu verzeihen, aber ich konnte nicht.« Sie lachte unsicher. »Tja, das ist ja nichts Neues für dich.«
Sam runzelte die Stirn. »Ich habe mir einen kleinen Fehltritt geleistet; er hat dich einfach verlassen und bewusst manipuliert. Das kann man wohl kaum auf eine Stufe stellen.«
Lena öffnete den Mund, um zu sagen: »Sex mit meiner Schwester würde ich nicht gerade als kleinen Fehltritt bezeichnen«, aber sie schluckte es hinunter. Sie hatten dieses Thema bis zum Erbrechen diskutiert.
»Gibt es etwas Neues von Nikita?«, fragte er leise.
Lena schüttelte den Kopf. Stasja hatte versprochen anzurufen, falls es Neuigkeiten gab. »Ich habe nichts gehört. Er liegt wohl noch im Koma.«
»Ich weiß, du fühlst dich schuldig, aber Alkohol ist auch keine Lösung.«
Sie verdrehte die Augen und stieg vom Zaun herunter. »Ja, halt mir nur wieder einen Vortrag.«
Er hob resigniert die Hände. »Tu ich gar nicht. Ich weise nur auf die Fakten hin. Der Alkohol war schuld an Nikitas Unfall, und er ist schuld daran, dass du deine Kinder und dein Haus verloren hast.«
Lena musste daran denken, wie sie versucht hatte, vor Sam zu verheimlichen, dass sie ein Haus besaß, weil sie es nicht verkaufen und das Geld für sinnlosen Kram hatte ausgeben wollen. Und jetzt musste sie es doch verkaufen. Ihr Verrat war der Auslöser für Sams Verrat gewesen, sein Verrat war der Auslöser für ihr Alkoholproblem gewesen, dieses wiederum war der Auslöser für Nikitas Unfall gewesen. Und seit Nikitas Unfall war ihr Leben endgültig ein einziges Desaster. Eine Kettenreaktion, wie beim Domino. Sie bräuchte nur eine positive Wendung, einen Stein, der stehen blieb, dann ließe sich der totale Zusammenbruch aufhalten. Allerdings hatte sie nicht die geringste Ahnung, woher dieser Stein kommen sollte.
Der Makler traf um Punkt acht ein, besichtigte das Haus mit gerümpfter Nase, warf einen Blick auf die Felder dahinter und nannte ihr einen Anfangspreis. Lena hatte auf weit mehr gehofft. Sie unterschrieb den Maklervertrag, und während sie sich in Sams Auto setzte und sie davonfuhren, hämmerte er ein »Zu verkaufen«-Schild in die weiche Erde zwischen Straße und Gartentor.
Lena starrte aus dem Fenster und weinte lautlos. Als sie sich mit dem Ärmel die Nase abwischte, sagte Sam: »Im Handschuhfach sind Taschentücher.«
Sie hatte gehofft, er würde ihre Tränen nicht bemerken. Verlegen öffnete sie das Fach und stieß auf eine Schachtel Kondome. »Oh.«
Sam hätte beinahe das Steuer verrissen, als er sah, was sie
in der Hand hielt. »Entschuldige«, sagte er und blickte wieder auf die Straße. »Judy und ich …«
»Judy?«
»Miss Burton.« Er lachte. »Sie unterrichtet die Kinder, also kann ich sie wohl kaum mit nach Hause bringen … Wir haben nur das Auto.«
Die Tatsache, dass Sam gezwungen war, mit seiner neuen Freundin im Auto Sex zu haben, entschädigte sie ein wenig für ihre Eifersucht. Sie schluckte ihr schadenfrohes Lachen hinunter und betrachtete ihn von der Seite. Sie hatte kein Recht, eifersüchtig zu sein. Sie hatte ihn vor die Tür gesetzt und sich standhaft geweigert, ihn wieder aufzunehmen.
»Willst du dich scheiden lassen?«, fragte sie.
»Willst du?«
»Das frage ich dich. Du hast eine Freundin.«
»Ich habe nicht vor, sie zu heiraten. Eine Scheidung ist teuer. Lassen
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