Ueber den Horizont hinaus - Band 1
möchtest, nimm den Schlüssel mit. Ich bin gegen Abend wieder hier. Und falls du hier bleiben möchtest…“
Nun drehte er sich doch um. „In diesem Fall gehe bitte ans Telefon. Ich rechne damit, dass unsere Eltern sich melden. Wir sollten den Schaden in Grenzen halten.“
„Kein Problem“, zuckte Christian mit den Schultern, doch Olaf erkannte durchaus das Unbehagen, das aus ihm sprach.
„Wir sehen uns.“ Olaf ergriff seine Aktentasche und wandte sich ein letztes Mal zu Christian, zögerte, ignorierte den überwältigenden Impuls, den Jüngeren an sich zu ziehen. „Fühl dich… fühl dich wie zu Hause, Chris.“
Christian lächelte und nickte. „Das mache ich“, antwortete er. „Und danke“, fügte er hinzu, als Olaf schon beinahe zur Tür hinaus war.
*
Der Tag hatte es in sich, und trotzdem legte Olaf ein bemerkenswertes Tempo in der Erledigung seiner Aufgaben vor, getrieben von dem Wunsch, so rasch wie möglich nach Hause zu kommen.
Kurz bevor er aufbrach, hinterließ er noch eine Nachricht für seine Eltern, nachdem er sie auch auf elektronischem Wege nicht erreicht hatte.
Unterwegs holte er einen Imbiss und als er seinen Wagen einparkte, spürte er freudige Erwartung wie Wärme in seinem Herzen.
‚Nur weil dein Bruder hier ist‘, betete er sich vor. ‚Es hat nichts zu bedeuten.‘
Und doch öffnete sich die Tür zu seiner Wohnung, noch bevor er seinen Schlüssel heraussuchen konnte, fast so, als hätte Christian drinnen auf ihn gewartet.
Und Olaf fühlte sich erinnert an die vielen Male, die der Jüngere ihn bereits vor seiner Ankunft erwartet hatte und eine Welle der Freude überrollte seine Empfindungen.
Begeistert nahm Christian die Lebensmittel in Empfang, und begann sie sofort auszupacken, während er pausenlos redete, erzählte von Dingen, die Olaf zu wenig interessierten, als dass er ihm zuhörte.
Die gute Laune des Jüngeren steckte ihn jedoch an, so dass er darauf verzichtete, nach dem ausstehenden Anruf ihrer Eltern zu fragen. Keiner von ihnen brauchte einen Dämpfer auf ihrer Stimmung.
Sie aßen und lachten und es war ein bisschen wie früher, ein bisschen wie in den Zeiten, als Christian noch ein Kind gewesen war und seine Unschuld sich auf Olaf übertragen hatte.
Olaf wollte nicht darüber nachdenken, was es war, das sich seitdem verändert hatte. Er fühlte sich einfach glücklich, auf diese gelöste, fröhliche Art mit Christian zusammen sein zu dürfen.
Und doch war etwas anders.
Olafs Augen hingen an dem Jüngeren, auch wenn seine Gedanken den Worten, die aus ihm heraussprudelten nicht folgen konnte.
Er beobachtete die weichen Lippen, die sich immer wieder zu diesem für Christian typischen, schiefen Lächeln verzogen.
Er beobachtete die dunklen Augen, die munter hin und her wanderten oder auch ernst in die seinen tauchten. Bis Olaf nicht anders konnte, als seinen Blick abzuwenden, wusste er doch nicht, was er tun, wie er reagieren würde, wenn er länger in diese Augen hineinsähe.
Olaf betrachtete die schlanken, für einen Jungen fast zu schlanken Finger, die sich um das Sandwich schlossen und er konnte nicht anders, als sich zu fragen, wie sich diese Finger auf seiner Haut anfühlten.
Olaf senkte die Lider, peinlich berührt, bis er merkte, dass Christians Redestrom abbrach.
„Ist etwas?“ Die Worte drangen nur langsam zu ihm vor und er öffnete pflichtschuldig seine Augen, blickte in Christians besorgtes Gesicht.
„Alles in Ordnung?“, wiederholte dieser und Olaf konnte nicht anders, als zu nicken und sich zu einem Lächeln zu zwingen.
„Nur müde“, meinte er und rieb sich über die Stirn.
„Aber natürlich“, beeilte Christian sich zu versichern.
„Und ich quatsche dich die ganze Zeit zu.“ Er schüttelte den Kopf über seine eigene Gedankenlosigkeit und sprang rasch auf.
„Ist ja klar, dass du dich ausruhen musst… und dann…“
Er zögerte ein wenig, bevor er fortfuhr. „Und dann vermisst du vielleicht Carola. Sie kann sich sicher besser um dich kümmern, als ich es könnte.“
Olaf lächelte. „Vergiss es. Alles in Ordnung.“
„Warte nur“, Christian machte sich in der Küche zu schaffen. „Ich kümmere mich um Alles. Bleib du sitzen und streck die Beine aus.“
„Hey – ich bin noch keine fünfzig“, murrte Olaf halb im Scherz.
Christian trat aus der Küchenecke mit einem Geschirrtuch in der Hand. „Nein“, sagte er ernst und etwas wie Bewunderung klang in seiner Stimme mit, spiegelte sich in seinem Gesicht, als er
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