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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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sagte Carola, als sie sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer machten.
    „Er ist ein Teenager“, entgegnete Olaf. ‚Mein Bruder‘, dachte er und klammerte sich an den Gedanken, als könnte er ihn festhalten.
    *
    Es war bereits spät und ihre Abendroutine brachten sie rasch hinter sich.
    Olaf lag bereits mit einem Buch im Bett, als Carola zu ihm krabbelte, ihm einen Kuss auf die Wange drückte und sich dann auf ihre Seite zurückzog.
    „Das war merkwürdig“, sagte sie nach einem Moment, den sie damit verbracht hatte, durch die auf dem Nachttisch liegenden Zeitschriften zu blättern.
    „Was?“ Olaf sah von seiner Lektüre auf.
    „Nun…“ Carola zögerte, vollführte dann eine ungenaue Handbewegung.
    „Ihr beide“, sagte sie dann.
    „Was meinst du?“ Olaf bemühte sich ein Erröten zu vermeiden. Natürlich besaß er eine recht genaue Vorstellung davon, worauf sie anspielte.
    „Nun… ihr…“ Carola wurde das Thema offensichtlich peinlich. Doch sie wäre nicht die selbstbewusste Frau gewesen, als die er sie einschätzte, wenn sie über ihre Vorbehalte nicht hinwegkommen könnte.
    Sie drehte sich zu ihm. „Ihr… steht euch sehr nahe.“
    Olaf räusperte sich. „Natürlich“, antwortete er betont leichthin. „Er ist mein kleiner Bruder. Ich hatte immer das Bedürfnis, ihn beschützen zu müssen.“
    Carola runzelte die Stirn. „Aber dafür hast du bislang recht wenig von ihm gesprochen.“
    Olaf senkte seinen Blick.
    „Das liegt wohl daran, dass ich immer spürte, dass ich doch zu wenig für ihn dagewesen bin“, antwortete er ausweichend.
    „Er… verbrachte fast seine gesamte Kindheit ohne mich. Ich war stets beschäftigt, auf Schulen oder beim Militär… kaum zu Hause.“
    „Als wolltest du deinen Eltern aus dem Weg gehen“, spekulierte Carola, doch Olaf schüttelte rasch den Kopf.
    „Das ist es nicht“, beeilte er sich zu versichern. „Sie haben mein Leben verplant, es gab da kaum eine Alternative für mich. Christian dagegen…“ Olaf verstummte, doch Carola ließ nicht locker.
    „Ja, was ist das?“ Sie beugte sich interessiert vor und für einen Augenblick wünschte Olaf sich, dass sie weniger wissbegierig wäre, dass sie ihn in dieser Angelegenheit ebenso in Ruhe ließe, wie in all den anderen Fällen.
    „Liegt es am Altersunterschied, dass sie euch unterschiedlich behandelt haben?“
    Olaf seufzte. „Ich denke, das spielt eine Rolle“, gab er dann zu. „Christian kam als Nachzügler… ungeplant. Er…“
    Olaf verstummte. Ein seltsamer Instinkt hielt ihn davon ab, Carola von seinen Erinnerungen zu erzählen, von den Beobachtungen, die er in der Beziehung zwischen seinem jüngeren Bruder und den Eltern anstellte.
    Er konnte es ihr nicht sagen, durfte nicht. Es gab zu viel preis, zu viel von ihm, zu viel von seinen Gefühlen für Chris.
    Olaf sog langsam den Atem ein. Was, wenn sie nachfragte, wenn sie Geheimnisse entdeckte, die er nie und nicht einmal vor sich selbst zugäbe.
    Nein, er konnte nicht darüber sprechen, nicht über das erschreckende Gefühl von Hass, das ihm das Verhalten seines Vaters immer wieder suggerierte.
    Er wollte, musste dies leugnen, durfte nicht darüber nachdenken, sonst würde er zusammenklappen, etwas Ungeschicktes tun, etwas Falsches, sich und sein Leben zerstören für eine vage Intuition, die – und so redete er sich wieder und wieder ein – doch nur in seiner Phantasie bestand und nirgendwo sonst.
    Carola sah ihn aufmerksam an und wieder einmal, wie bereits oft zuvor, befürchtete Olaf, dass er zu durchschaubar war, zumindest für sie. Carola schien ihn manches Mal lesen zu können, wie ein offenes Buch.
    Ein Eindruck, den ihm ansonsten lediglich seine Eltern vermitteln konnten.
    Zuerst hatte er diese Fähigkeit als Zeichen gewertet, dass Carola und er wirklich zusammengehörten, dass sie ihn ergänzte auf eine Weise, die ihm bisher noch nicht begegnet war.
    Doch in diesem Augenblick war es ihm unangenehm und er schottete sich gegen sie ab, versteifte sich zusehends und Carola erkannte den Hinweis.
    „Ich verstehe“, sagte sie und lehnte sich zurück. „Jüngere Geschwister besitzen immer gewisse von der Natur gegebene Privilegien. Auf ihnen liegt weniger Druck, die Anspannung, die Erwartungshaltung ist geringer.“
    „Ja“, antwortete Olaf einsilbig und immer noch unsicher, verwirrt auf Grund der Gedanken und Gefühle, die ihn stetig überrollten.
    Doch bevor er sich weiter fragen konnte, was es war, das er vor Carola verbergen wollte,

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