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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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Polster unter ihm bewegte sich und er spürte, dass Christian näher rutschte. Olaf hielt den Atem an, sein Herzschlag stockte.
    Und dann berührten Christians Lippen die seinen und alles in ihm schrie, dass dies falsch war, dass er ihm Einhalt gebieten, den Bruder aufhalten musste.
    Doch er bewegte sich nicht und Christians Mund legte sich kurz auf seinen eigenen.
    Nur für einen Moment spürte er die Nähe, die Weichheit der roten Lippen, die er deutlicher vor sich sah, als wenn er seine Augen geöffnet hatte.
    Christians Mund löste sich, und doch blieb sein Gesicht so nah dem Olafs, dass dieser ihn fühlte, dass dieser den Kuss immer noch auf seinen Lippen spürte.
    Und er fühlte sich nicht falsch an, nicht schlecht, sondern warm und süß, wie etwas seit langem in einem Traum Ersehntes.
    Olaf atmete.
    Er wartete, zögerte, als leise Worte an sein Ohr drangen.
    „Was tun wir?“, fragte Christian ihn und Olaf wusste keine Antwort, verschloss sich vor der Frage, verschloss seine Ohren, wie seine Augen geschlossen blieben.
    Er hörte Christian atmen und fühlte, wie seine glatten Finger genau die Stelle berührten, die der Jüngere zuvor mit seinen Augen liebkost hatte.
    Olaf zitterte, als Christian leise weitersprach, kaum hörbar.
    „Du wusstest, dass du es bist, nicht wahr? Du wusstest, dass immer du es warst.“
    Olaf sog mit einem Laut die Luft ein und das Geräusch löste den Zauber und er schlug seine Augen wieder auf.
    Christian sah ihn an, ängstlich, scheu und doch so voller Vertrauen, dass es Olafs Herz zerriss.
    Olaf ersehnte nichts mehr, als seine Lippen erneut auf die des Jüngeren zu pressen, als ihn an sich zu ziehen und zu küssen, richtig zu küssen, so wie er es sich wieder und wieder gewünscht, wovon er immer geträumt hatte.
    Doch er zuckte zurück, eine hastige, körperlich schmerzhafte Reaktion.
    „Nein“, zischte er, mehr ein Verbot an sich selbst, als an Christian, der abrupt zurück fuhr, seine Augen weiter, erschrockener aufgerissen als zuvor, sein Gesicht brennend vor Scham.
    ‚Das geht nicht. Wir dürfen das nicht‘, wollte er sagen, doch wieder brachte er kein Wort hervor.
Christian wandte sich ab, schwang seine Beine langsam auf den Boden.
    „Es tut mir leid“, flüsterte der Jüngere. „Ich dachte nur… ich hab mich geirrt.“
    Damit stand er auf, sah sich nicht um.
    „Ich muss gehen“, sagte er leise und griff nach seiner Jacke, ging zur Tür.
    ‚Geh nicht‘, wollte Olaf sagen, doch kein Laut verließ seine Lippen. Stocksteif, wie gelähmt, blieb er sitzen.
Vielleicht war es das Beste so, vielleicht sollte es so kommen, dachte er bei sich, als er auf Christians Schritte lauschte, die sich langsam von ihm entfernten. Auf die Tür, die leise auf und wieder zuklappte, auf die Geräusche, die er gar nicht mehr hören konnte, die er mehr empfand, als dass sie tatsächlich stattfanden.
    Er beugte sich nach vorne und vergrub das Gesicht in den Händen. Seine Lippen brannten von dem Kuss, die Haut an seinem Hals glühte und seine Sinne waren erfüllt von ihm, von Christian, von seiner Berührung, von seiner Nähe, seiner Wärme.
    *
    Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Carola wieder eintraf, wie lange er so gesessen hatte.
    Er blickte auf, fühlte den Sprung in seinem Herzen, als sich die Tür öffnete, und die gleichzeitige Ernüchterung, als er Carola sah.
    Sie trat langsam ein, als überlege sie noch, legte dann ruhig ihre Tasche und ihren Mantel ab, bevor sie zu ihm ging, sich auf den Sessel setzte, der Olaf gegenüber stand und ihn prüfend ansah.
    Unverblümt, wie es ihre Art war, kam sie zum Thema.
    „Es ist etwas Komisches mit euch“, sagte sie und runzelte die Stirn, als wäre sie selbst mit ihrer Ausdrucksweise nicht ganz zufrieden.
    Olaf brauchte nicht zu fragen, was oder wen sie meinte. Selbst wenn er es gewollt hätte, die Energie fehlte ihm, die Frage auszusprechen.
    Carola hatte keine Antwort erwartet. Sie lehnte sich zurück, überlegte einen Moment.
    „Vielleicht irre ich mich, vielleicht arbeite ich zu viel…“
    Sie stockte. „Vielleicht arbeiten wir beide zu viel“, fuhr sie dann fort.
    „Ich habe den Eindruck, dass wir uns kaum noch sehen. Und… dass du ihn öfter siehst als mich.“
    Olaf antwortete immer noch nicht, wodurch sie gezwungen war, ihren Monolog fortzusetzen.
    „Ich weiß ja, dass du verlorene Zeit aufholen möchtest, aber ist dir denn nicht klar, dass wir beide auch Zeit verlieren?“
    Olaf sah sie an, nickte, als

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