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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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das…“
    Christian verschränkte die Arme. „Angeblich hatte er immer ein Auge auf dich… ‚Big Father is watching you‘…“
    Olaf schüttelte den Kopf und doch konnte er nicht leugnen, dass die ausgesprochene Annahme ihre eigene Logik erhielt. Hannibal hatte immer mehr über ihn gewusst, als Olaf für möglich gehalten hatte.
    „Wie auch immer“, räusperte er sich, bemüht die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt zu lenken.
    „Ich… ich habe eigentlich nicht vor, dir Vorschriften zu machen. Du bist schließlich jung und musst dich ausprobieren. Nur um Vorsicht bitte ich dich, in mehrfacher Hinsicht.“
    „Klar“, antwortete Christian.
    „Du würdest mir also nicht verbieten, mit Männern zu schlafen.“ Es zuckte verräterisch in den Gesichtszügen des Jüngeren, doch Olaf bemerkte es nicht, als das Blut aus seinem Kopf plötzlich tiefer absackte.
    „Ich… nein“, antwortete er rasch. ‚Doch‘, dachte er und schämte sich gleichzeitig für die Klarheit dieses Gedankens.
    „Nur…“
    Christian lachte. „Ich weiß schon… vorsichtig. Das bin ich.“
    Er beugte sich vor und klopfte dem Bruder auf die Schulter, wurde plötzlich ernst.
    „Weißt du – ich will auch gar nicht mit Männern schlafen.“
    Ein Stein fiel Olaf vom Herzen und er riskierte ein Lächeln.
    ‚Das ist gut‘, wollte er sagen – ohne über die Worte nachzudenken, doch Christian kam ihm zuvor.
    „Es gibt nur einen Mann, den ich will.“
    Olaf verschluckte sich fast. „Ach ja?“, brachte er mühsam hervor und erhob sich, das plötzlich dringende Bedürfnis verspürend der Situation zu entfliehen.
    „Du… du solltest hier lüften“, lenkte er ab und konzentrierte sich verzweifelt auf den Zustand der Wohnung.
    ‚Wer ist das? Kenne ich ihn?‘, rasten die Gedanken in seinem Kopf umher. Das längst vergessen geglaubte Bild von Matthias stieg in ihm auf, verfolgte Olaf.
    „Weißt du was?“, schlug er hastig vor. „Ich helfe dir mit den letzten Pinselstrichen, wir reißen die Fenster auf und gehen etwas essen. Dann hat sich der Farbgeruch bis du schlafen gehst verzogen.“
    Er blinzelte, riskierte einen Blick auf Christian, der ebenfalls aufgestanden war, ihn mit an der Seite herabhängenden Armen ansah.
    Seine Augen wirkten größer als sonst, aufgerissen, als bemühten sie sich, in dem Gesicht seines Gegenübers zu forschen, einen Hinweis auf etwas Unausgesprochenes zu entdecken, eine Reaktion, die ihm weiterhalf.
    Olaf sah rasch zur Seite. „Also, was meinst du?“, fragte er und zwang sich alles Andere mit Ausnahme seines soeben vorgebrachten Vorschlages zu vergessen.
    Christian schüttelte nur den Kopf.
    „Ich bin ohnehin schon fast fertig“, sagte er und sah an Olafs Anzug hinunter. „Und ich denke nicht, dass du dir deine Geschäftskleidung ruinieren willst.“
    Einer seiner Mundwinkel wanderte nach oben und Olaf konnte nicht anders, als genau dorthin zu blicken, als Christian fortfuhr. „Für den Ruf der Firma wäre das sicher nicht von Vorteil.“
    Die Spannung löste sich und Olaf gelang es, das Lächeln des Jüngeren zu erwidern.
    „Du bist so ein Idiot“, sagte er liebevoll.
    Und doch war es ihm an diesem Abend unmöglich, den merkwürdigen Eindruck abzuwehren, dass es etwas gab, das in Christian vorging. Dass dieser einen Anfang gemacht hatte, einen Versuch gestartet, ohne letztendlich den Mut aufzubringen, den begonnen Weg weiterzugehen.
    Oder lag es daran, dass er selbst zurückgeschreckt war, ängstlich, beinahe panisch und Christian diese Abwehr gespürt hatte, gespürt haben musste.
    Und doch war es zu gefährlich, sich auf eine Richtung wie diese einzulassen. Die Folgen nicht abzusehen, er selbst zu unsicher, zu wenig gefestigt in seiner Haltung.
    Immerhin war der Junge sein Bruder und Olaf besaß zu wenig Erfahrung, um sagen zu können, ob es für Brüder angemessen war, sich über derart intime Details zu unterhalten.
    Abgesehen davon, dass er auf keinen Fall riskieren konnte, dass Christian von den gelegentlichen Ausrutschern seinerseits erfuhr, von der geheimen, im Stillen verlaufenden Flucht aus seinem Alltag, aus seinem Leben. Einer Flucht, von der niemand etwas ahnen durfte. Nicht Carola, nicht sein Vater und ganz sicher nicht Christian.
    Olaf lächelte gezwungen, als Christian sich noch einen Espresso bestellte und dann zurücklehnte, die dunklen, vielsagenden Augen auf den Bruder gerichtet. Ernsthaft, wissend und doch unschuldig, so unschuldig, wie Christian bleiben sollte, wie er

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