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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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tief Luft, verschränkte seine zitternden Finger ineinander. „Weißt du es denn nicht mehr? Er… er hat es auch mit dir getan.“
    Übelkeit stieg in Olaf auf. „Das hat er nicht. Das ist nicht wahr… kann nicht sein. Ich würde mich erinnern.“
Christian presste seine Lippen zusammen, verschränkte die Arme vor seinem Magen, beugte sich leicht nach vorne und starrte auf seine Knie.
    „Er… er hat es mir erzählt, mir vorgehalten, wie folgsam du warst,… wie diszipliniert.“
    Olaf schüttelte den Kopf. „Ich habe nie… niemals…“
    Christian schluckte. „Du bist schnell groß geworden… du gingst auf die Schulen. Ich… ich blieb länger klein… ich… sah noch aus wie ein Fünfjähriger, da war ich schon beinahe zehn. Ich… weiß es noch… zu gut.“
    „Das…“
    Olaf würgte. Er öffnete die Autotür, beugte sich hinaus und übergab sich auf die Straße. Sein Magen revoltierte mit Macht, als könnte er das Gehörte wieder loswerden, wenn er sich nur ausreichend bemühte.
Woge um Woge der Übelkeit erfasste ihn, zwang ihn sich in endlosen Krämpfen zu winden.
    Er fror, zitterte und glaubte, dass seine Eingeweide sich von innen nach außen stülpten.
    Heftiger und heftiger wurden die Krämpfe, bis es mit einem Mal aufhörte. Bis er nur noch atmete, auf seinen Herzschlag lauschte, die Hände seines Bruders, die ihn stützten, fühlte.
    „Ich… ich dachte, du wüsstest…“, flüsterte Christian und zog Olaf an sich, der sich willig von ihm führen ließ, sich in die Nähe, die Wärme des Jüngeren begab, seine Arme um ihn schlang und sein Gesicht in dessen Schoß barg, bis wohltuende Dunkelheit ihn umfing.
    *
    Olaf wachte auf, als sie fuhren. Er fand sich im Beifahrersitz wieder, angeschnallt, in eine Decke gehüllte.
    Schläfrigkeit, Benommenheit regierte seine Empfindungen und er weigerte sich, versuchte nicht, daran zu denken, nicht an das, was er erfahren hatte.
    Sein Kopf rollte zur Seite und er blickte unter halbgeschlossenen Lidern auf Christian, der den Wagen steuerte, der konzentriert auf die Straße sah, als der Wagen an den wenigen Lichtern der Nacht vorüber raste.
    Olaf schloss seine Augen, überließ sich, sein Schicksal dem Vergessen.
    Sanfte Hände geleiteten ihn vorwärts, führten ihn vertraute Wege und er folgte willig, vertraute Christian, der ihn sicher dorthin brachte, wo er sicher war, wo ihnen beiden nichts geschehen konnte.
    Olaf wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, doch als er die Augen aufschlug, war es morgen und sie befanden sich in Christians Wohnung, in seinem Bett.
    Christian lag in tiefem Schlaf, ebenso wie er noch in der Kleidung des Vortages, mit Ausnahme der Schuhe, die unordentlich auf dem Teppich lagen.
    Eine Decke breitete sich über den Beinen des anderen, sowie seinen eigenen aus und Olaf bewegte probehalber seine Füße.
    Er konnte sich nicht erinnern, jemals so lange geschlafen zu haben, so wirre Träume durchlebt.
    Und doch kamen diese nicht annähernd an die Realität heran. Olaf erinnerte sich an jedes Wort, an all das, was geschehen war, und doch umfing ihn eine geradezu beängstigende Ruhe. Er wusste nun, was er tun musste. Zum ersten Mal wusste er es wirklich.
    Olaf beugte sich über Christian, strich ihm das Haar aus der Stirn und küsste diese sanft.
    Der Jüngere seufzte leise, doch er erwachte nicht und Olafs Herz füllte sich mit unsinnigem Stolz über die Entschlossenheit, mit der der Christian die Zügel an sich gerissen und sie dorthin gebracht hatte, wo sie sein sollten, wo sie sicher waren, wo sie zu sich kommen konnten.
    Olaf zog ihm die Decke bis zu den Schultern hoch, betrachtete ihn noch einmal und erhob sich dann langsam und vorsichtig, achtete darauf den verdienten Schlaf nicht zu stören.
    Er nahm einen Zettel, dachte kurz nach.
    „Warte hier auf mich“, schrieb er dann. „Packe das Notwendige. Wir gehen.“
    Er ließ den Zettel offen auf dem Tisch liegen, griff von dort den Autoschlüssel, verließ das Apartment und schloss die Tür hinter sich.
    *
    Die Fahrt in seine Wohnung verging in einem Rausch, erfüllt von durcheinanderwirbelnden Gedanken, konstruierten und wieder verworfenen Plänen.
    Dort angekommen, suchte er die wenigen, entscheidenden Akten, die Unterlagen und Schriften, auf die es ankam und machte sich auf den Weg zur Bank.
    Während der Fahrt bestellte er die Flugtickets, einmal Hin- und Rückflug nur für sich und zwei einfache Flüge im Anschluss.
    Zum ersten Mal ergaben die Kontakte, die er geknüpft

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