Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
Vom Netzwerk:
trinkst also überhaupt nicht?“, fragte er in dem Bemühen, das sich ausdehnende Schweigen zwischen ihnen zu unterbrechen. Just in diesem Moment fiel ihm das Unhöfliche seiner Fragestellung ein, die Gefahr, in einen Bereich der Persönlichkeit einzudringen, den Liam möglicherweise lieber verborgen hielt, und er senkte verlegen den Blick.
    Doch Liam lächelte nur still, wie er es an diesem Abend schon so oft getan hatte und schüttelte leicht den Kopf.
    „Nein, nicht mehr“, gab er schließlich zu, nachdem er den Sekunden gelauscht hatte, die vorbeirannen, unwiederbringlich, angezeigt nur durch das regelmäßige Ticken der Uhr an der Wand.
    „Nicht mehr“, wiederholte er und drehte sich zu Nathan, um ihm ins Gesicht zu blicken. Dieser schlug erneut die Augen nieder, und Liam konnte sehen, was es ihn kostete, ein erneutes Erröten zu verhindern.
    „Ich… ähm… ich trinke auch nur manchmal…“, stammelte Nathan, doch verstummte, als Liams Lächeln sich verbreiterte.
    „Ist schon gut“, sagte der Dunkelhaarige. „Ich habe kein Problem damit.“
    Und ehe Nathan sich versah, lehnte Liam sich zu ihm hinüber und legte seine Hand auf Nathans Schenkel. Kurz nur, sehr kurz. Eine winzige vertrauliche Geste, vergangen, bevor Nathan sie richtig wahrgenommen hatte. Verspätet zuckte er zurück, verwirrt. Und doch fühlte es sich an, als führe immer noch ein Blitz durch seine Nervenbahnen, lief ein Kribbeln durch seinen Körper, begann, noch bevor es aufhören konnte, von Neuem in einem nicht enden wollenden Zirkel. Nathans Augen wurden groß und dunkel, als er Liam anstarrte, der sich zurücklehnte. Das Lächeln war aus dem Gesicht des Dunkelhaarigen verschwunden. Aufmerksam betrachtete er Nathan, verfolgte die Reaktion des Mannes. Nathan sog zitternd den Atem ein, bemühte sich, sein pochendes Herz zu beruhigen, indem er den Atemzug ausdehnte. Es funktionierte nicht. Sein Puls begann zu galoppieren. Ihm schien es, als würden seine Blutgefäße gesprengt, als explodierte sein Herz, wenn nicht in diesem Augenblick, dann doch im nächsten.
    „Was… was hat das zu bedeuten“, flüsterte er, ohne es zu bemerken.
    Liam zuckte mit den Achseln. „Nichts. Entschuldige“, antwortete er leise, beugte sich vor und griff nach seinem Glas.
    „Warte, ich helf dir“, rutschte es Nathan heraus. Doch da hatte er sich bereits vornüber gelehnt und mit seinen Fingern die Hand des anderen umschlossen.
    „Entschuldige“, brachte Nathan heiser hervor. Doch es gelang ihm nicht, den Griff um Liams Hand zu lösen. Im Gegenteil. Seine Hand lag sanft auf der des anderen, umschloss die langen, schmalen Finger Liams, die ihrerseits das Glas hielten.
    „Ich…“ Er wollte sich wieder entschuldigen, wollte sich zurückziehen, etwas sagen, eine Erklärung abliefern, doch der Blick, den Liam ihm zuwarf, ließ ihm den Atem stocken. Tief tauchten Liams Augen in Nathans, forschten, suchten, fanden in seinem Inneren.
    „Ich…“, wollte er sprechen, wollte ablenken von dem reglos starrenden Bild, das er abgab, das er bereuen werde, sobald er ausreichend bei sich war, um einer derartigen Emotion fähig zu sein. Doch Liams Augen ließen ihn nicht los, lähmten seinen Körper bis zu der Fähigkeit, Worte zu formen. Stattdessen ertrank Nathan in ihrer Tiefe, fühlte, wie Wellen über ihm zusammenschlugen, ihn hinab saugten, durch einen Strudel hindurch bis in eine Falle, der zu entkommen er sich nicht mehr wünschte.
    Und Liam fand in den blauen Augen des Blonden, was er gesucht hatte. Er erkannte in deren Klarheit, deren eigenen, kühlen Dunkelheit, hinter dem spiegelnden Blick eine Sehnsucht, die er verstand, an die er sich seit zu langer Zeit gewöhnt hatte.
    Langsam lehnte er sich vor, ein Stück nur, ein kleines Stück, denn er ahnte, dass nicht nur er es war, den es zu dem anderen zog. Nathan kam ihm entgegen, geleitet von einer Kraft, die außerhalb seines Verstandes und seiner Vorstellungskraft existierte. Magnetismus führte sie zusammen. Und als ihre Lippen sich berührten, war es wie das Versprechen einer Erfüllung, die in ferner Zukunft auf sie wartete.
    Nathan schloss seine Augen. Liams Lippen fühlten sich an, wie er sie sich erträumt hatte. Sanft und gleichzeitig fest. Fordernd und doch zärtlich zugleich. Ein Hauch von Unsicherheit, ein Moment des Zweifels schwebte in dem Kuss, der viel zu flüchtig, viel zu schnell beendet war. Eine Kostprobe nur, ein Test.
    Nathan schmeckte herb, fast würzig. Nach Whiskey und

Weitere Kostenlose Bücher