Ueber den Horizont hinaus - Band 1
der eine oder andere versucht, seine Ruhe zu haben. Oder auch jemanden kennenlernen möchte."
Seine Augen verengten sich, als er Vincent erneut musterte. "Auch wenn ich mir bei Ihnen nicht sicher bin." Er lachte verlegen. "Und das kommt selten vor. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht so schlecht bestellt sei."
Vincent lachte ebenfalls und dann war er es, der sich nach vorne lehnte.
"Das ist es also", meinte er. "Das Geheimnis, das mich umgibt."
Stimmte das? Wirkte Eduard nun tatsächlich verlegen? Vincent begann, sich zu amüsieren.
"Das wird es wohl sein", nickte Eduard trotzdem. "Ich komme nicht dahinter. Zuerst dachte ich an eine Bürotätigkeit, in Richtung Buchhalter." Er räusperte sich. "Aber dann wurde mir klar, dass Sie dafür zu sportlich wirken. Auch zu abgehärtet, was die Witterung angeht."
"Ich habe viel auf Baustellen zu tun", gab Vincent zu. „Da muss man bei jedem Wetter auf Achse sein." Er atmete aus. "Man sollte meinen, dass ich extreme Temperaturen gewohnt bin. Aber die Vorstellung hier auf der Insel auch nur zehn Minuten auf einem Dach zu verbringen, besitzt nicht viel Verlockendes."
"Verstehe." Eduard nickte langsam und doch gesellte sich etwas Neues in seinen Blick, etwas anderes, fast Lauerndes. Auch wenn es Vincent fern lag, Gespenster zu sehen. Dennoch reagierte er. "Was?"
Eduard schüttelte den Kopf. "Mir war da nur ein Gedanke gekommen. Aber ich glaube nicht, dass ich da eine Chance besitze." Er lächelte, wirkte plötzlich nervös.
"Was? Worum geht es denn?" Vincent konnte ihm nicht folgen.
Eduard biss sich auf die Unterlippe, senkte den Blick zum Tresen und begann mit seinem Tuch nun diesen zu polieren.
Er zuckte mit den Schultern. "Es gibt wenig ausgebildete Fachkräfte hier. Wer einmal geht, kommt nicht mehr zurück. Und die aus dem Ausland bleiben nur, bis sie eine Ferienanlage wie die hier errichtet oder renoviert haben."
"Nicht einmal während ihres Urlaubs?", warf Vincent ein, doch Eduard ignorierte ihn, hörte ihn wohl nicht, denn er sprach sich in Fahrt. "Du - Sie können sich vorstellen, was das für die Stabilität der Bauten bedeutet, die nicht den Touristen zugedacht sind. Zumal die Menschen hier seit Ewigkeiten mit leichten Bauwerken zurechtkommen. An sinnvollen Stellen errichtet, überstehen sie Regen und Stürme, sind im Notfall rasch repariert oder wieder aufgebaut." Er räusperte sich, sah auf, vollführte eine unsichere Geste. "Ist jetzt natürlich anders. Der Klimawandel führt zu Extremen, die vor zwanzig Jahren noch nicht denkbar waren. Ganze Wohnsiedlungen werden überschwemmt. Was natürlich nicht aufregend genug ist, um mehr als eine Randnotiz in einer Zeitung zu initiieren." Erneut räusperte er sich, nervöser nun. "Unterm Strich brauchen wir hier feste Gebäude. Um die zu errichten, benötigen wir Schulungen, Fachpersonal, Werkzeuge."
Langsam nickte Vincent, konnte das Lächeln nicht verhindern, das in ihm hochstieg. "Was ist so komisch?" Eduard runzelte die Stirn.
"Komisch ist, dass ich mir bereits ähnliches überlegt habe. Und das nur, nach der Fahrt vom Flughafen bis in diese sichere Oase." Vincents Lächeln zerfiel, er schüttelte den Kopf. "Was natürlich überhaupt nicht komisch ist, tut mir leid."
Eduard blinzelte. "Du hast dir - ich meine, Sie haben sich bereits Gedanken gemacht?"
Vincent hob abwehrend die Hände, starrte dennoch in die Augen, die sich nun auf ihn richteten. "Das dürfte eine Aufgabe sein, die meine Kompetenzen übersteigt. Um hier weiterzukommen, müsste man sich mit der Witterung, Geologie, der Beschaffenheit und Zusammensetzung des Grundes, der Vegetation und tausend anderen Kleinigkeiten auseinandersetzen." Er lachte hilflos. "Da kommt ein Team vielleicht weiter."
"Ich weiß." Eduard nickte. "Da ich der Einzige bin, dessen Fremdsprachenkenntnisse einigermaßen ausreichen, habe ich bereits unzählige Anfragen gestellt. Natürlich immer mit der Antwort, dass es an Geld mangelt. Denn das, was hier eingenommen wird, landet lediglich in Form der Bezahlung von Arbeitskraft bei denen, die auf der Insel leben."
Vincent kniff die Augen zusammen. "Aber Sie wirken nicht, als kämen Sie von hier."
Eduard lächelte immer noch. "Um eine lange Geschichte kurz zu erzählen: Mein Vater war einer von denen, die hier gearbeitet haben und wieder verschwunden sind. Er verliebte sich, nahm eine Frau von hier mit in seine Heimat, wo sie auf mich traf. Ich war damals vier und meine Mutter gestorben.
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