Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Leben war schwierig genug, anstrengend genug. Er durfte es sich nicht erlauben, unnötige Komplikationen hineinzubringen. Selbst wenn die sich nur in seiner Fantasie abspielten. Und seine Fantasie behielt Ivan unter Kontrolle.
Abrupt dreht er sich um und packte den nächsten Ast, wuchtete ihn auf die Ladefläche und bemühte sich, daran zu denken, dass ein Großteil des Tages bereits hinter ihm lag. Er musste vorwärts sehen, sein Leben auf die Reihe bekommen, jeden Tag von Neuem. Und konnte sich nicht mit haltlosen Gedankenspielereien aufhalten. Damit tat er sich keinen Gefallen.
Ivan biss die Zähne zusammen und rieb seine Handflächen an der Latzhose trocken, bevor er sich auf den Weg zum nächsten Holzstapel machte. Er legte eine Hand über die Augen, um gegen die Sonne sehen zu können, und erkannte seine Kollegen, die bereits in einiger Entfernung arbeiteten.
Diesen Park auf Vordermann zu bringen und ansehnlich zu halten glich einer Endlosschleife. Und für einen Moment hatte Ivan genug davon.
Irgendwann kam der Fremde immer an ihm vorbei. Und verschwand dann bis zu Ivans nächstem Auftrag, der ihn in dessen Gegend führte.
Der Moment, nachdem er verschwunden war, näherte sich gefährlicher Leere an, und Ivan hatte gelernt, wie er die füllen konnte.
Er stürzte sich in die Arbeit. Nach einer Weile war die Lieferfläche gefüllt und er schwang sich auf den Fahrersitz des Wagens und rumpelte zur Sammelstelle. Die Hose klebte am Sitz und die Welt um ihn wurde immer dunstiger. Dennoch beeilte Ivan sich mit dem Abladen und kehrte umgehend wieder zum Park zurück. Es war genug zu tun und auch wenn er seine Kollegen nicht mehr sehen konnte, entdeckte er doch genug Unrat, den es einzusammeln galt. Arbeit wie seine endete niemals und der frische Lufthauch, der plötzlich durch sein durchgeschwitztes Hemd fuhr, verlieh ihm neue Energie.
Er wurde schneller. Mehr Äste, Blätter und abgebrochene Zweige sammelten sich. Unkraut, Plastiktüten, leere Flaschen stapelten sich daneben. Der Sommer wurde nicht selten zum Anlass genommen, ordentlich abzufeiern und die Überreste des Treibens achtlos liegen zu lassen.
Ivan erinnerte sich in einer Mischung aus Wehmut und Scham daran, dass er vor nicht sonderlich langer Zeit ebenso gedankenlos gehandelt hatte.
Und er arbeitete schneller.
Nur daran konnte es liegen, dass ihn der Windstoß, der ihm eine gehörige Portion Sand in die Augen trieb, gehörig überraschte.
Er fuhr zusammen und begann, sich die Augen zu reiben, die umgehend zu tränen begannen.
Ivan fluchte leise und dann laut, als ein weiterer Windstoß über ihn hinweg jagte.
Dicht gefolgt von schweren Regentropfen, die in seinem Haar landeten und dann in seinem Gesicht, als er es dem wütenden Himmel entgegen reckte.
Mit unvermuteter Wucht klatschte Wasser auf seine Haut, tränkte sein Haar und seine Kleidung, wusch die schmerzenden Augen aus, noch bevor er seinen Blick abwenden konnte.
Der Himmel war mit einem Mal stockfinster. Dichte Wolken hingen tief und schwarz über ihm, raubten gemeinsam mit dem heulenden Wind, der damit begann, Blätter und Zweige umher zu wirbeln, an Ivans nassen Kleidern zerrte, Sicht und Verstand.
Ivan hustete. Er schwankte in der plötzlichen Gewalt der Natur.
Wie konnte es sein, dass er diesen Wetterumschwung nicht eher bemerkt hatte? War er tatsächlich derart beschäftigt, derart besessen von seiner Tätigkeit gewesen?
Er drehte sich um zu seinem Lastwagen, als die Macht des ausbrechenden Sturmes ihn rückwärts trieb. Gleichzeitig öffneten sich die Schleusen und Wassergewalten prasselten in unvermittelter Kraft auf ihn herab. Binnen Sekunden war er vollkommen durchnässt, und konnte kaum noch die Hand vor seinen Augen erkennen.
Der Schreck saß tief genug, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob oder wie er die Flucht ergreifen, oder auch in unmittelbarer Nähe Unterschlupf suchen sollte. Wenn er es über die Straße und aus dem Park heraus schaffte, fände sich sicher wenigstens ein Hauseingang, ein Vordach oder ein anderer Schutz.
In diesem Moment spürte Ivan eine Hand auf seinem Arm. Durch die Wand des Regens, die triefende Nässe und Kälte berührten ihn warme Finger.
Im Nachhinein erschien er ihm wie in Zeitlupe, der Moment, in dem er sich umdrehte, in dem er ihn erkannte. Den Fremden, der nun neben ihm stand, der einen großen, schwarzen Schirm hielt, der sich über sie beide wölbte.
Ivans Lippen öffneten sich, doch kein Ton entwich. Auch der andere
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