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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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sich war, dann handelte es sich um seinen bevorzugten Arbeitsplatz. Trotz des Pechs und der schlechten Witterung, die der Platz buchstäblich anzog, umgab diesen ein beim besten Willen nicht zu leugnender Zauber.
    Ivan war zu oft und zu lange dort, um sich der Ursache nicht bewusst zu sein. Allzu klar und beinahe schmerzhaft bewusst.
    Er hielt inne und blickte an sich herab. Die Arbeitshose war fleckig, verknittert und feucht vor Schweiß. Dabei hatte er sie in der Früh frisch hervorgekramt. Doch zu dieser Jahreszeit benötigte er täglich eine Neue. Gerade wenn die Witterung dazu neigte, von unerträglicher Hitze direkt in ein Unwetter überzugehen, das neben Pfützen auch Matsch und Schlammspritzer dekorativ verteilte, vervielfachte sich auch unweigerlich seine Zeit im Waschsalon.
    Er schob den linken Ärmel leicht in Richtung des Handgelenks und über den schwellenden Unterarmmuskel, obwohl der raue Stoff des Hemdes an seiner Haut rieb. Dann atmete er aus und kreiste die schmerzenden Schultern, streckte kurz den Rücken durch.
    Er konnte nicht schon wieder Pause machen. Zuviel war noch zu erledigen und er war nicht bereit, die Arbeitsgeräte im Freien stehenzulassen, wenn ein Platzregen drohte.
    Ivan blinzelte in die Höhe. Der Himmel leuchtete immer noch tiefblau und ihn beschlichen ernsthafte Zweifel, was die Vertrauenswürdigkeit des Wetterberichts anging. Ohnehin konnte man in seinem Beruf nicht allzu viel Rücksicht auf den Wettergott nehmen. Was getan werden musste, musste getan werden. Den Auftraggeber interessierte es herzlich wenig, wie lange der Job gedauert oder wie mühsam er auszuführen gewesen war.
    Ivan spürte ein leichtes Kribbeln im Rücken. Oder er ahnte es mehr, als dass es ihm tatsächlich bewusst wurde.
    Der Mann stand auf der anderen Seite der Straße, direkt gegenüber des Parks und des Lieferwagens, neben dem Ivan innegehalten hatte. Er – der Mann war der Grund, warum Ivan diesen Ort nicht ungern aufsuchte.
    Denn – so dumm und sinnlos es auch war - Ivan genoss den Blick, den der andere ihm im Vorbeigehen zuwarf. Auch wenn der es zu verbergen suchte, seine Augen schleunigst abwandte, sobald er offensichtlich zu erkennen glaubte, dass Ivan sich verspannte, dass der von seiner Anwesenheit und seiner Aufmerksamkeit Notiz nahm.
    Ivan wusste durchaus, dass er wenigstens akzeptabel aussah. Die Arbeit im Freien verlieh ihm einen kräftigen Teint, der die Schatten unter seinen Augen überspielte, und sorgte dafür, dass er an den richtigen Stellen Muskeln entwickelte. Auch wenn er sonst schlank blieb, so dass seine Kleidung manchmal beinahe zu weit an ihm herabhing.
    Aber er legte immer Wert darauf, sich aufrecht zu halten und das Haar, das ihm gerne ungebärdig in die Stirn fiel, umrahmte ein scharf geschnittenes Gesicht.
    Er wusste, dass er älter aussah, als er war. Aber das wunderte niemanden, der von dem Verlauf seiner Jugend und von seinem Lebenswandel Kenntnis erhielt.
    Vielleicht wirkte er äußerlich so alt wie der andere, dessen Blick er in seinem Rücken spürte. Aber das konnte durchaus auch daran liegen, dass dieser immer wie aus dem Ei gepellt auftauchte. Dass er in Anzug und Krawatte, die Aktentasche unter dem Arm, meist in Eile vorbeihastete. Auch wenn er sich den Blick auf Ivan niemals und wirklich niemals sparte.
    Vielleicht lag es auch daran, dass Ivan sich angewöhnt hatte, den Blick zu erwidern. So wie in diesem Moment, in dem er sich hastig umdrehte, ein wenig zu hastig, und dem anderen überraschend in die Augen blickte.
    Groß und grün wirkten die von weitem. Und boten einen perfekten Kontrast zu dem strohblonden Haar, das zum Teil in seiner Stirn klebte.
    Ivan stellte mit Vergnügen fest, dass auch Anzugträger vor Hitze nicht gefeit waren.
    Er stellte ebenfalls fest, dass der andere seinem Blick für den Bruchteil einer Sekunde länger standhielt, als es beim letzten Mal der Fall gewesen war.
    Fast als taute er auf. Doch da schlug der Fremde die Augen bereits nieder, wandte sich ab und schritt eilig von dannen.
    Ivan biss sich auf die Unterlippe und versuchte, seinen Blick von dem Davongehenden abzuwenden. Es hatte doch keinen Sinn. Niemals würde er mit dem Mann ein Gespräch anfangen. Ja, im Grunde war es bereits zu viel, nur einen Blick zu tauschen.
    Trotz seines Bemühens konnte Ivan nicht sehen, was der Mann in dem verschwitzten Arbeiter bemerkte, was ihn dazu bewog, Ivan seine Aufmerksamkeit zu schenken.
    Welten lagen zwischen ihnen und das war gut so.
    Sein

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