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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zu, verbreiterte sich die Bucht zu einem großen offenen Mund, in dem immer neue Wellen hereinfluteten. Weiden und Birken ragten mit dünnen Zweigspitzen kläglich aus dem Wasser und beugten sich unter den hereindringenden Fluten. Schaumblasen trieben häßlich wie Krötenaugen auf der Oberfläche des undurchsichtigen Wassers. Angespültes Holz schaukelte darauf und staute sich am aufsteigenden Wiesenhang. Die aufgedunsene Leiche eines Bergschafes wurde zu Füßen der Lagernden am Hang angeschwemmt.
    Blitzwolke schloß die Augenlider. Nur ihr Ohr blieb wach, und sie hörte den brausenden Wasserschwall aus dem großen Tal und die leisen Stimmen Uinonahs und Sitopanakis neben sich. Erst als ihr einige Wasserspritzer auf die Stirn fielen, fuhr sie wieder auf. Die weiße Mondscheibe am Himmel hatte längst goldgelben Nachtglanz bekommen.
    Rings um das Mädchen war alles in Tätigkeit. Blitzwolke entdeckte die Bärenknaben, die ihr das Wasser ins Gesicht gespritzt hatten. Die Buben rannten mit Gelächter den Hang abwärts und sprangen zwischen das treibende Holz hinein in das eiskalte Wasser. Beide hatten das Messer zwischen den Zähnen und tauchten unter.
    Blitzwolke ließ sich von Uinonah einen Rest Fleisch in den Mund schieben, kaute bedächtig und überwand ihre natürliche Erschöpfung.
    Die Bärenknaben waren prustend wieder aufgetaucht. Mit langen starken Weidenzweigen, die sie unter Wasser abgeschnitten hatten, winkten sie den anderen Jungen, die jetzt an der Reihe waren, zu tauchen und Zweige zu holen. Die Frauen hatten schon Büffelhäute zurechtgelegt. Das war das Material für den Bootsbau.
    Die Indianer, die in Wäldern lebten, bauten die leichten Rindenkanus oder auch Einbäume, deren Herstellung mühselig war. Die Präriestämme führten keine Boote mit, da die meisten Flüsse und Bäche im Präriegebiet seicht und außer in Hochwasserzeiten mit Pferden leicht zu überschreiten waren. Wurden in einem besonderen Fall Boote gebraucht, so stellten die Frauen ein einfaches Gerippe her, über das sie Häute spannten. Solche Boote waren rund mit flachem Boden und wurden mit Paddeln fortbewegt. Sie waren unsicher und schwer zu lenken, doch auch in holzarmen Gegenden konnte man sie leicht und schnell bauen.
    Der Häuptling hatte Befehl gegeben, sich sofort an die Arbeit zu machen.
    Blitzwolke wollte beim Bootsbau und beim Herstellen der einfachen Paddel mittun. Sie wollte Uinonah helfen, aber die Häuptlingsschwester ging schon Sitopanaki zur Hand; so lief das Mädchen hinüber zu Mongschongschah. Verstohlen sah sie nach der Häuptlingsschwester und wartete darauf, daß sie gerufen wurde. Uinonah lächelte ihr freundlich zu und arbeitete mit dem Schwarzfußmädchen zusammen sehr ruhig und schnell.
    Es gab Blitzwolke einen Stich, daß das Boot der Häuptlingsschwester zuerst fertig wurde. Sitopanaki hatte alles gut gemacht, trotz ihrer verstümmelten Hand. Blitzwolke war dann wohl nie mehr nötig für Uinonahs Zelt. Nein, Sitopanaki war auch älter als sie und schöner und die Tochter eines berühmten Häuptlings. Blitzwolke wußte selbst nicht, wie müde sie aussah und wie böse in ihrer schwärmerischen Eifersucht.
    »Komm, leg dich schlafen«, sagte Mongschongschah zu ihr. »Wenn wir fahren, wecke ich dich.«
    Blitzwolke schüttelte den Kopf. Sie war jeder weiteren Antwort enthoben, da sie sich halb umdrehen und nach dem Häuptling sehen konnte, der allein von der Anhöhe herabkam.
    Tokei-ihto war auf das Boot zugegangen, das Uinonah und Sitopanaki fertiggestellt hatten, und faßte es prüfend an. Blitzwolke kam erst jetzt zum Bewußtsein, daß Tschetansapa und der Späher Schwarzfels bei dem Häuptling standen. Tokei-ihto richtete sich wieder auf, und das Kind hörte ihn sagen: »Gut dann. Ich versuche es sogleich mit deinen Söhnen!«
    »Ja«, antwortete Tschetansapa.
    Blitzwolke sah sich nach den Bärenknaben um. Die beiden waren nirgends zu erblicken. Auf einmal tauchten ihre Köpfe wieder im Talgrund aus der undurchsichtigen Schmutzflut auf. Sie schoben sich schwimmend mit einiger Mühe durch das angespülte Holz. Als sie auf den Wiesenhang heraufkamen, trieften ihre Haare, sie fröstelten und schüttelten sich wie nasse Hunde. Keiner von ihnen verriet, daß sie sich zu weit gewagt hatten und von einer zurückziehenden Welle fast in das Haupttal hinausgerissen worden waren. Aber sie niesten, husteten und spien noch immer Wasser. Während sie ihre Weidenzweige abgaben, bemerkten sie nicht gleich, daß der

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