Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Häuptling sie ansah.
    »Schnell!« herrschte Blitzwolke sie flüsternd an. »Ihr sollt mit dem Häuptling über den Strom!«
    Die Knaben fuhren zusammen und reckten sich.
    »Ja«, sagte Tokei-ihto, denn er schien die Worte, die nicht für ihn bestimmt gewesen waren, gehört zu haben, »und den Bären werdet ihr mitnehmen. – Draußen in der Prärie ist eine große Zahl von feindlichen Reitern erschienen. Von der Anhöhe aus haben wir sie gesehen. Wir sind zwischen zwei neue und größere Gefahren geraten, zwischen das wilde Wasser und den Roten Fuchs, und wir müssen mit beiden kämpfen. Hawandschita rät uns, das Kind der Großen Bärin und euch beide über den Strom zu fahren, damit der Stamm der Großen Bärin weiterlebt, auch wenn wir andern sterben.
    Ich werde also versuchen, euch über den Strom zu bringen. Hau. Ihr wißt, wie wir unser neues Leben drüben einrichten müssen.« Der Häuptling wandte sich wieder an Tschetansapa und Schwarzfels: »Du befiehlst oben«, sagte er zu Tschetansapa und deutete mit einem Blick auf die Anhöhe. »Ihasapa geht mit mir; er schwimmt gut. Wenn ich kann, komme ich zurück.«
    Tschetansapa trat noch einmal zu seinen Söhnen und legte mit einem stummen Gebet den Arm um die Knabenschultern. Keiner konnte wissen, ob und wann er den anderen wiedersah. – Dann lief der Krieger, ohne sich umzudrehen, die Anhöhe hinauf.
    Hapedah und Tschaske sprangen zu ihrem braunfelligen vierbeinigen Schützling, der nach der langen Reise der vergangenen Tage verärgert im Gras lag. Sie packten ihn auf. Zappelnd und knurrend wehrte er sich und fuhr Tschaske mit seinen gelben Krallen über das Gesicht, daß das Blut lief. Tokei-ihto nahm den Buben die ungefüge und widerspenstige Last ab. Das Bärenkind schien sich bei seinem großen Freund wohl zu fühlen; es klammerte sich mit den Tatzen an seinen Schultern fest und leckte ihm den Hals.
    Der Häuptling machte sich auf den Weg. Halb am Hang, gegen die Prärie gedeckt, ging er am Westufer der Bucht hinaus zum Stromtal. Der junge Schwarzfels begleitete ihn, und Ohitika drängte an seine Knie. Die Bärenknaben hoben zu zweit das leichte Boot auf, das Uinonah und Sitopanaki gefertigt hatten, und jeder nahm zwei der kurzen Paddel über die Schulter. Bogen und Pfeilköcher und das Messer in der Scheide an der Lederschnur hatten sie umgehängt. So liefen sie hinter dem Häuptling her.
    Uinonah kam heran und drückte Blitzwolke eine Schüssel mit Fleisch in die Hand. »Lauf«, sagte sie, »und gib es ihnen mit ins Boot. Die Schüssel sollen sie behalten zum Schöpfen, wenn Wasser in das Boot kommt.«
    Blitzwolke nickte. Sie sprang den anderen quer über den Hang nach und holte sie bald ein.
    Kurz ehe die Bucht in das große Tal auslief, verhielt der Häuptling den Schritt. Die Knaben ließen das Boot zu Wasser und setzten sich hinein; Blitzwolke reichte ihnen die Schüssel mit dem Fleisch. Sie hielt das Boot mit einem Paddel fest, damit es nicht abschwamm, während der Häuptling das Bärenkind hineinsetzte. Voll Angst, aber widerstandslos ließ sich das Tier in dem schwankenden Gebilde unterbringen. Die Buben legten ihre Beine daneben zurecht und nahmen Bogen, Pfeil und Lasso der Männer in Empfang. Blitzwolke gab Hapedah das letzte Paddel, und die beiden Brüder stießen das Boot ab. Es flutete eben wieder eine breite Welle aus dem Haupttal herein; sie hob das leichte Gefährt und trug es vom Ufer ab, weiter in die Bucht hinaus.
    Die Knaben begannen je mit einem Paddel zu arbeiten; das zweite, das sich jeder mitgenommen hatte, diente als Reserve. Der Häuptling und der Kundschafter Schwarzfels waren nicht eingestiegen. Sie sprangen ins Wasser, um zu schwimmen. Ihre Füße wirbelten, und ihre Arme griffen weit und kraftvoll aus, so daß sich ihre Schultern immer wieder aus der lehmigen Flut hoben. Sie schossen auf das Boot zu und stießen es in Fahrt nach der offenen Mündung der Bucht. Die leichten flachen Lederboote wurden schon auf friedlichen Strömen meist von Schwimmern gelenkt, wieviel mehr heute auf den über die Ufer getretenen mächtigen Fluten.
    Blitzwolke lief am Grashang mit. Als sie die Mündung der Bucht erreichte, setzte sie sich nieder und blickte mit stummem Entsetzen auf das Bild, das sich vor ihr geöffnet hatte. Eine unabsehbare Flut füllte das Stromtal mit ihren lehmigen Wassern. Alle sanften Ufer, alle grünen Höhen, alle roterdigen Hügel, von denen das Kind hatte erzählen hören, waren verschwunden.
    Die Schlammwogen

Weitere Kostenlose Bücher