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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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und die beiden schwimmenden Männer weiter mit den Fluten. Sie hatten keine Zeit für Zweifel oder Trauer. Ihr Leben war ein Unterpfand für das Leben der Söhne der Großen Bärin, und sie rangen darum.
    Die Jungen stemmten die Füße gegen das Fell des Bärenkindes und paddelten, so gut sie vermochten. Sie hörten das Krachen von Schüssen und sahen einige Rauchwölkchen.
    Hapedah fühlte im gleichen Augenblick ein Brennen an der Schläfe. Unwillkürlich ließ er das Paddel ruhen und griff sich an den Kopf. Er blutete. Red Fox und seine Jäger waren schon da und hatten vom Ufer auf das Boot geschossen! Der Dakotajunge zog seinen Freund Tschaske tiefer ins Boot herunter und duckte sich selbst. Die Knaben kuschelten sich neben das verängstigte Bärenkind und hockten sich so tief, wie es das Paddeln ihnen erlaubte. Sie sahen kaum mehr über den Bootsrand hinaus und faßten das Wasser gar nicht mehr ins Auge, sondern nur den nächtlichen Himmel und die Sterne als Richtzeichen.
    Hapedah schwamm es vor dem Gesicht. Er fühlte sich auf einmal schwach und gleichgültig gegen das, was geschah. Tschaske sollte ihn in Ruhe lassen. Aber er hatte nicht mehr die Willenskraft, das auszusprechen. Es wurde ihm etwas um den Kopf gewickelt, hastig und ungeschickt; nun, seinetwegen, jetzt konnte er wohl einschlafen.
    Das Boot schoß in eine Wassermulde hinab, bäumte sich auf, fast kippte es. Es stand über irgendeinem Gischt und Schaum, mit dem Boden kaum mehr im Wasser, dann torkelte es wieder hinab, und eine schmutzige Flut ergoß sich herein in das Innere. Plötzlich erkannte Tschaske, daß er sich in der Mitte des Stromes befand. Er tauchte das Paddel; es wurde ihm aus der Hand gerissen, als ob ein Stärkerer es gefaßt habe. Schon war es auch verschwunden. Tschaske sah das Antlitz des Häuptlings aus dem gelben Verderben des Lehmwassers auftauchen; die Lippen des Schwimmers waren halb aufgerissen beim Atemholen; er keuchte. Gleich spülte die Flut wieder über ihn hinweg.
    Das Boot bekam einen heftigen Ruck und stellte sich auf. Tschaske wollte sich dagegen werfen, aber das nützte nichts. Das Boot blieb, wo es war, den heranflutenden Wassern zugeneigt. Der Junge richtete sich auf, denn es schien ihm, daß er festen Boden unter den Füßen habe. Er sah erstaunt um sich.
    Dabei entdeckte er vor seinem Boot die Kuppe eines Hügels, die ein wenig aus dem Wasser ragte. Das Gras auf der Hügelkuppe war vollkommen niedergedrückt und auf dem Boden festgeschwemmt. Hin und wieder ging der vorwitzigen Anhöhe ein schmutziger Gruß über das Haupt. So, also da war er aufgesessen! Dann … hatte er wohl die Strommitte hinter sich. Denn die Hügel, an denen man aufsitzen konnte, die erhoben sich nicht im Strombett, sondern im weiten Tal an den Flußufern, die jetzt überschwemmt waren.
    Was jetzt? Das mußte Tokei-ihto sagen.
    Wo war der Häuptling?
    Tschaske befahl sich selbst, nicht zu erschrecken. Er wollte sich ganz genau umsehen.
    Die Schwimmer waren oft unter den gefährlichen Fluten verschwunden und wieder aufgetaucht. In der Nähe allerdings war nichts zu bemerken und in den Wirbeln und dem Toben der Strommitte … auch nichts.
    Also mußte Tschaske warten. Der Knabe packte mit der Kraft des Willens sein Herz, als ob er es in der Hand habe und es fest zusammendrücken könne. Nur keinen Schlag zuviel.
    Noch befand er sich inmitten des unabsehbaren Stromes. Nichts als Wasser war um ihn herum, feindliche Wildnis, und darüber der gleichgültige, höhnische Mond. So schmutzig und böse war das endlose Wasser. Es wirbelte und schoß und brauste, drehte sich und gurgelte und warf Erde und Eis gegen das Boot. Eine lebende Ziege schwamm auf einer Erdinsel vorbei. Dürr war sie; Tschaske sah das aufgerissene Maul, die entsetzensstarren Augen des Tieres. Er mußte sich abwenden. Als er wieder aufblickte, war nichts mehr zu sehen. Ein Wirbel hatte alles geschluckt. Erde, Holz, Gras und Ziege. Nur ein paar Schaumblasen kreisten noch über dem Grab, in dem alles verschwunden war.
    Der Wind strich über das Tauwasser, das aus der Schneeschmelze der Berge kam. Im Westen, stromaufwärts, blitzte das Auge eines Donnervogels mit zackigem Feuer aus dem Gewölk. Durch das Brausen des Wassers klang noch ein anderer, dumpfer Ton. Der Donnervogel hatte geschrien. Tschaske kroch es kalt ans Herz, und ein Schauer rieselte ihm über den Rücken. Er konnte sein Boot nicht flottmachen, er konnte nicht rudern, er kam nicht ans Ufer über diese Wasser. Er

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