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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Charlemagne.
    Noch immer war kein Wort gesprochen worden. Chef de Loup schaute auf Tokei-ihto. Die Haltung des Häuptlings drückte eine Ruhe aus, von der man ebensowohl erwarten konnte, daß sie Stunden wie daß sie Tage überdauern werde. Selbst sein Blut schien dem wachen Schlaf nachgegeben zu haben und nicht mehr mit seinem Schlag durch die Adern an Hals und Schläfen zu treiben. Die Hände hielten ohne Anstrengung die Büchse quer über dem Pferderücken. An den Handgelenken waren noch die Male der Fesseln zu erkennen. Der Delaware wußte, daß die gärende Ungeduld des weißen Mannes auf der anderen Seite die Stille zerreißen mußte.
    Red Fox sprang ab. Das Aufplumpsen seiner schweren Stiefel war das erste Geräusch, das sich zwischen den beiden Gruppen hören ließ. Er riß den Hut vom Kopf, so daß sein mächtiger Schädel mit dem brandroten Haar sichtbar wurde, und trat mit drei Schritten auf den Dakotahäuptling zu. Tokei-ihto blieb zu Pferd und sah auf seinen Feind herab. Seine Rechte spannte sich um den Zügel, denn der falbe Hengst hatte nach dem Herankommenden geschnappt, und das Tier lauerte mit zurückgelegten Ohren auf die nächste Gelegenheit, einen Verhaßten mit seinem Gebiß zu packen.
    Red Fox lachte heiser und gezwungen. Seine Lippen wichen über die gelben Zähne zurück. »Verdammt«, sagte er, »der mähnige Teufel kennt mich noch. Wir haben uns nicht vertragen …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das war einmal.« Er schloß die Lippen und senkte die Lider halb, um sich kein ungeprüftes Wort und keinen nackten Blick entkommen zu lassen.
    »He!« rief er dann überlaut in die Stille. »Du bist da, Harry, das ist gut! Das habe ich erwartet. Du weißt, wie es steht?«
    »Nein.« Tokei-ihtos Stimme klang fremd und spöttisch.
    »Nein? Hat dein bastumwickelter Bote« – der Sprecher deutete auf den Schwarzfuß –, »hat er dir nicht zu berichten gewagt?
    So werde ich dir sagen, was hier gespielt wird.« Red Fox sprach immer noch laut, fast schreiend. »Ihr wollt über den Missouri ziehen! Du bist nicht blind, du hast ihn gesehen. Das ganze Tal ist ein Strom. Vor zehn Tagen wird das Wasser nicht sinken. Zehn Tage – sind lang. Sie genügen mir. Wir haben Kugeln, ihr habt keine. Das Pack von Weibern und Kindern hindert euch. Es ist klar, es ist alles ganz klar. Ihr seid nur noch ein Haufen Leichen, wenn ich es will. Ich will es aber nicht – ich will nur dich. Also komm, mein Freund! Heute sind wir quitt, und es wird ein Ende zwischen uns.«
    Tokei-ihto antwortete nicht.
    »Noch immer nicht entschlossen?« Red Fox lief der Speichel um die Zähne zusammen wie einem freßgierigen Hund. »Noch immer nicht? Ich kann es dir nicht verdenken, wenn deine Entschlüsse langsam werden, mein Bester. Hast du ein wenig Angst?«
    Der Häuptling schwieg.
    »Mit deinem Schweigen kommst du auch nicht weiter. Zwar macht es sich gut und würdevoll, wie du überhaupt ein wahrhaftiger Häuptling bist – nicht von schlechten Eltern –, das weiß ich. Auch Top, dein Alter, hatte so etwas an sich, wenn er nüchtern war. Nichts für ungut! Wenn ich dich so sehe, denke ich immer an die alten Zeiten; sie waren trotz allem die besseren. Wir könnten manchmal davon sprechen, drunten auf der Reservation, wenn du mit mir kommst, verstehst du?«
    Der Häuptling blieb stumm.
    »Na, ich werde dir das erklären.« Red Fox öffnete seinen Lederrock. Chef de Loup sah dabei die Hände, diese starken knochigen Klauen. Sie öffneten den Rock und fanden in der linken Brusttasche einen Brief. »Hier, nimm das und lies.«
    Tokei-ihto rührte sich nicht. Seine Hand hielt noch immer den Zügel straff.
    »Was? Du willst nicht?« Red Fox steckte den Brief wieder ein und schloß seinen Rock langsam und sorgfältig, als ob er ein Festungstor verschließe. »Du wirst mich noch darum bitten, diesen Brief lesen zu dürfen, aber dann wird es zu spät sein.«
    Als die Finger mit den starken Nägeln den letzten Knopf zugeknöpft hatten, stach aus den Augen des Feindes ein grünliches Licht. »Hund!« brüllte er auf, und seine Stirn färbte sich plötzlich von aufwallendem Blut. »Hast du gar nichts gehört von der Botschaft, die ich deinem glattgekämmten Spießgesellen aufgetragen habe? Du kannst kommen, wohllöblicher Tokei-ihto, und Häuptling spielen auf der Reservation.
    An dem Tag, an dem ich dich bringe, ist auch mein Glück gemacht. Sage nicht wieder nein, Harry, ich rate es dir! Du hast schon einmal nein gesagt zu mir –

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