Über den Missouri
Das Fieber spricht aus dir!«
In Tokei-ihtos Antlitz schoß das Blut dunkel hinauf. »Dein Häuptling spricht!«
Tschapa Kraushaar stand auf. »Unsere großen Häuptlinge wurden geschlagen und vertrieben. Bist du mehr als sie?«
»Ihr Sohn und junger Bruder bin ich.«
»Unseren großen Stamm verlassen …?«
»Wir vergessen unsere Väter nicht.«
»Auf das letzte verzichten, was die Watschitschun uns noch gelassen haben?«
»Auf alles, nur nicht darauf, ein freier Mann zu sein!«
»Wir hätten viel zu lernen, Tokei-ihto.«
»Nach unserem eigenen Sinn.«
»Das ist vorbei!«
»Nicht, solange ich atme … Wir ziehen nordwärts über den Missouri!«
»In die Jagdgründe unserer alten Feinde vom Stamm der Siksikau?«
Tokei-ihto trat zu Tschapa heran, sah ihm nahe ins Gesicht. »Tschapa Kraushaar! Ich kann dir nicht mehr sagen, als deine Ohren schon gehört haben. Ich habe auch keine Zeit. Wenige Stunden bleiben uns, um schneller zu handeln als unsere Feinde und die ersten Schritte auf einem langen Weg zu tun. Ziehen wir nach Canada!«
»Die Watschitschun kommen auch dorthin, schießen die Büffelherden weg und sperren uns ein. Wir werden nie mehr jagen, mein Häuptling!«
»Du hast recht. Die Büffel sind tot. Wir müssen einen neuen Weg finden. Du sitzt hier auf dürrem Boden, ein Gefangener der Langmesser. Wird es nicht besser sein, wir haben ein gutes Stück Land und lernen als freie Männer Vieh züchten und säen und ernten?«
Die Augen des Kriegers weiteten sich. »Du weißt, das war schon lange mein Traum, aber wir sind besiegt. Den Dakota ergeht es jetzt nicht mehr anders als einst den schwarzen Männern, die meine Väter waren. Mein Vater ist zu den Dakota geflohen, um frei zu werden, ich aber werde zusammen mit euch wieder zum Sklaven!«
»Laß uns gehen!« Der Häuptling packte den Gefährten hart an der Schulter. »Wir sind lange zusammen geritten. Heute verläßt du mich nicht, Tschapa!«
Der Mann verkrampfte seine Fäuste. »Was du sagst, ist gut«, murmelte er noch einmal, »aber wir haben keine Kraft mehr.« Tschapa Kraushaar ging langsam von seinem Häuptling weg, bis ihn die Zeltwand aufhielt. Da legte er die Stirn an die Fichtenstange. Seine Züge verzerrten sich, aber aus dem schmerzvoll verzogenen Gesicht schauten seine großen schwarzen Augen mit überwältigender Sehnsucht aus dem Grauen der Unterwerfung in die Hoffnung der Freiheit.
Der Heimgekehrte stand neben dem Feuer. Der Schein der flackernden Flämmchen huschte an ihm hinauf. Er blickte nach dem Gefährten, der sich nicht umwenden wollte.
Der Häuptling setzte sich wieder und nahm die erkaltete Pfeife zwischen die Lippen. Im Hintergrund saßen die beiden Frauen, die das Gespräch der Männer stumm mit angehört hatten. Mongschongschahs Hand, die die Kindertrage streichelte, hatte plötzlich gestockt; sie war mitten in der Bewegung erstarrt und stand in der Luft, merkwürdig, wie ein erstorbener oder verzauberter Zweig.
Uinonahs Gesicht war grau geworden, als Tschapa das Wort aussprach, daß ihr Bruder nur gekommen sei, um wieder zu gehen. Die letzten Worte des Bruders aber schüttelten das Mädchen und weckten sie wieder aus einem bösen Traum zu einem wachen Entschluß. Er hatte sie in die Höhe gezogen, und von dem Willen des Bruders getrieben und geleitet, verließ sie das Zelt.
Sie ging hinaus aus dem Dorf und suchte den Knaben Hapedah, Tschetansapas Sohn. Der Junge stand ganz allein in der nächtlichen Prärie.
»Wo ist Tschaske?« fragte das Mädchen. »Und warum kommst du nicht ins Tipi?«
»Tschaske und ich sind zu jenem Felsen dort gelaufen. Tokei-ihto besitzt noch seinen Falben und Ohitika. Tschaske hält bei den Tieren Wache. Ich habe nachgedacht.«
»Lauf und suche deinen Vater! Mein Bruder will ihn sprechen.«
»Uinonah!« Hapedahs magere Jungengestalt wuchs auf. »Mein Vater hat mir erlaubt, ihn in seinem Felsversteck aufzusuchen, wenn ich ihm etwas Wichtiges zu sagen habe. Der Häuptling will ihn sprechen! Das ist wichtig. Nichts ist wichtiger als das.«
Hapedah huschte davon. Rings war es still und schon ganz finster, da die Wolken den aufgehenden Mond und die Sterne verdeckten.
Das Mädchen kehrte in das Zelt zurück und ließ sich wieder bei der Zeltwand neben Mongschongschah nieder. »Tschetansapa wird bald bei uns sein«, sagte sie. Mongschongschah zuckte zusammen.
Alle warteten.
Endlich kam Tschetansapa. Kein Laut hatte sein Kommen verraten. Er war an das Zelt herangeschlichen. Jetzt schob
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