Über den Missouri
wartete weiter, bis Tschapa zurückkommen würde. Es währte lang, und der junge Häuptling blieb allein am Feuer. Keiner der Krieger kam, um ihn zu begrüßen. Hatte Tschapa Kraushaar die Botschaft von der Heimkehr des Verratenen und Gefangenen noch nicht in die anderen Zelte zu tragen gewagt? Und hatte wirklich keiner der Männer den einstigen Häuptling kommen – und mit Freuden kommen sehen?
Während der Heimgekehrte am Feuer wartete und sein Wille und seine Gedanken sich immer härter und in einer immer schwerer aufzubrechenden Weise um alle seine Empfindungen schlossen, saßen im Zauberzelt drei Menschen. Sie gehörten drei verschiedenen Lebensaltern an: Hawandschita, der mehr als Neunzigjährige – Untschida, die mehr als Sechzigjährige – Tschapa Kraushaar, der erst vierundzwanzig Sommer gesehen hatte.
Tschapa hatte berichtet.
Hawandschita starrte in die kleinen unruhigen Flammen des Zeltfeuers. Untschida, die abseits saß, beobachtete den Zaubermann. Sein altes Gesicht war wie eine Holzmaske geworden, furchenreich, unveränderlich, dunkel unter dem weißen Haar. Seine Lippen waren schmal, aber der Mund war nicht eingefallen. Es war schwer, den Zauberer zu enträtseln, denn er selbst rätselte und wühlte in sich herum und vermochte sich und sein Leben nicht mehr zu durchschauen.
Nun war dieser Tokei-ihto wieder heimgekommen.
Hawandschita erinnerte sich sehr genau des Tages, an dem ihm der Sohn Mattotaupas, der als Knabe den Namen Harka trug, zum erstenmal als Feind erschienen war. Neun Winter hatte der Häuptlingssohn damals gesehen gehabt, und die Zelte der Bärenbande standen noch auf der Wiese am Südhang der Black Hills. Es war ein köstlicher Vorfrühlingstag gewesen. Der Waldboden fraß glucksend den Schnee, ein Vogel sang, die Zweige schüttelten die tauenden weißen Lasten ab und stäubten sie den Menschen in den Nacken, den Mustangs auf das Winterfell. Die meisten der Männer und Burschen waren auf Jagd unterwegs. Hawandschita aber, der alte Zaubermann, hatte damals einen bedeutenden Tag für sich anbrechen sehen.
Er wollte sich an jenem Tag unter den Knaben einen neuen Gehilfen wählen. Sieben Jahre hatte er bis dahin ohne Gehilfen gearbeitet, da sein Handlanger und Nachfolger in der Zauberkunst bei den Kämpfen mit den Absaroka umgekommen war.
Der Zauberer aber war schon damals alt und wurde älter, und ehe er den hundertsten Winter und Sommer sah, wollte er wieder einen vollgültigen Erben seiner Geheimnisse herangezogen haben. Lange hatte er unter den Knaben des Zeltdorfes Umschau gehalten, und seine stille Wahl war endlich auf Harka Steinhart Nachtauge, den ältesten Sohn Mattotaupas, gefallen. Hawandschita wußte, daß die Wahl zum Zaubergehilfen und späteren Zaubermann für jeden Knaben und für jeden Vater eines Knaben die höchste, von allen heimlich erhoffte Ehre war.
Harka Steinhart Nachtauge schien alle Eigenschaften zu besitzen, die Hawandschita verlangen mußte. Er war klug, kräftig, verschwiegen und beherrscht, soweit dies von einem Kind schon verlangt werden konnte. Hawandschita wollte den Knaben an jenem Vorfrühlingstag zum letztenmal beobachten, ehe er am Abend in das Zelt des Vaters ging und die Entschließung mitteilte.
Die Nacht davor war glücklich verlaufen. Im Traumgesicht war dem Alten eine große Schlange erschienen, mit der er vor bedeutenden Entscheidungen immer im Trancezustand sprach und deren Entscheidung ihn wie ein Geist begleitete, seit er selbst in seiner Jugend unter körperlichen und seelischen Foltern aus der Gemeinschaft der anderen Knaben ausgeschieden und Lehrling seines Zaubermeisters geworden war.
Hawandschita sah sich selbst wieder durch den Kiefernwald im tauenden Schnee gehen, während er in Wahrheit in seinem Tipi auf der Reservation saß und mit abwehrendem Schweigen in die Glut stierte.
Dieser Harka-Tokei-ihto war noch einmal lebendig wiedergekommen!
Damals, vor fünfzehn Jahren, hatte Hawandschita den Charakter und die Fähigkeiten von Mattotaupas Sohn mit Entsetzen erkennen müssen.
Der alte Zauberer war an jenem Vorfrühlingstag durch den Wald gegangen, weil er kaum einen der jüngeren Knaben bei den Zelten antraf. Viele Spuren von Knabenfüßen aber hatten ihm verraten, daß die ganze Schar in der gleichen Richtung in den Wald gestürmt war, und der Zauberer ging leise, immer in Deckung, hinterher, denn er wollte seinen künftigen Lehrling in den letzten Stunden vor der Entscheidung noch einmal heimlich beobachten.
Unbemerkt
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