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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hatte er sich den Jungen genähert, die alle an einem Platze unter einer alten Eiche versammelt waren.
    Dann war ihm, als ob er zu Eis erstarren müsse.
    Vor ihm spielte sich ein Zauberspiel ab, wie er es selbst mit den Kriegern zuweilen ausgeführt hatte. Harka Steinhart Nachtauge spielte den Geheimnismann. Er hatte sich vermummt, aber Hawandschita hatte ihn sofort erkannt. Der Knabe ahmte die Gesten des Zaubermannes bei dem Kultspiel genau nach. Das schien unverschämt, aber es war nicht das bedrohlichste. Hawandschita entsetzte sich, weil die Knaben alle dahingesunken waren wie unter einer hypnotischen Kraft. Nicht einmal beim Erscheinen des Zauberers wurden sie ihrer selbst gleich bewußt. Hawandschita war tief betroffen. Er glaubte in diesem Augenblick, der Knabe Harka habe ihm seinen Zauber gestohlen. Eine Schlangenhaut hatte sich der Dieb um den Kopf gewunden!
    Harka Steinhart selbst war der erste unter den Knaben gewesen, der den alten Zauberer bemerkt hatte. Wie angewurzelt war er an seinem Platz geblieben. Die anderen Jungen waren endlich zu sich gekommen. Mit einem Schreckensschrei waren sie auseinandergestoben.
    Was in den nächsten Tagen und Wochen vor sich gegangen war, hatte keiner der Knaben je wieder vergessen. Noch niemals und auch nie wieder waren sie von ihren Eltern so hart bestraft worden. Bis zum Beginn des Sommers sprachen die Väter mit den Söhnen kein Wort. Hawandschita hatte sich von Mattotaupa den Rädelsführer Harka für zwölf Tage und zwölf Nächte ins Zauberzelt geben lassen. Er wollte diesem Knaben den Zauber wieder entreißen. Er wollte von ihm erfahren, wie er ihn gestohlen hatte.
    Aber der Knabe widerstand und blieb bei dem, was ihm selbst als Wahrheit erschien: daß er hatte nachahmen und spielen wollen und daß die andern Jungen sich gern gegruselt hätten. In den zwölf Nächten, die Harka im Zauberzelt war, träumte Hawandschita nicht mehr von der großen Schlange. Das war das Grauenvollste, was den Alten treffen konnte. Er wollte Harka unterwerfen und ihm seinen Zauber wieder wegnehmen. Aber der Knabe blieb fest. Niemandem, auch dem eigenen Vater nicht, erzählte Harka je, auf welche Weise der Zauberer ihn hatte brechen wollen.
    Hawandschita aber träumte nie mehr von der großen Schlange. Die große Schlange sprach nicht mehr zu ihm.
    Harka wurde ein Jahr später von den Knaben zu ihrem Anführer gewählt, und der Kriegshäuptling stimmte dem zu.
    Hawandschita wurde seitdem von der Angst verfolgt, daß ihm seine Zauberkraft, an die er fest geglaubt hatte, für immer aus den Händen genommen sei. Niemand durfte davon etwas erfahren, niemand! Nächtelang trommelte der Alte; er beschwor seine Geister und versuchte zu träumen. Zuweilen gelang es ihm, aber die Träume blieben wirr und undeutlich. Keiner der Krieger und Knaben ahnte etwas von diesen Nöten des Zaubermannes, auch wenn die Männer zuweilen nicht mit ihm zufrieden waren.
    Das ungeziemende kindliche Spiel war geahndet, und für alle außer Hawandschita selbst war die Angelegenheit mit der gebührenden Strafe vollständig abgeschlossen. Die Angst, daß die Männer den Verlust seiner Zauberkraft eines Tages doch entdecken könnten, verfolgte den Geheimnismann mit dem ganzen Grauen, das die Aufrechterhaltung einer Lüge mit sich bringt. Wenn die Krieger um das Erscheinen der Büffelherden tanzten und beteten und die Büffel kamen nicht, so hungerten die Männer, Hawandschita aber wand sich in seinem Zelt in den Krämpfen seines vermeintlichen Unvermögens. Er ging zu den erstaunlichsten und gewagtesten Schlichen und Ränken über. Immer noch einmal gelang es ihm, die Männer zu täuschen. Dabei folterte er sich selbst und trommelte immer und immer wieder um das Erscheinen der großen Schlange.
    Er begann Harka und Mattotaupa, den Vater dieses Knaben, mit seinem Haß zu verfolgen. Es gelang ihm, Mattotaupa zu vertreiben. Es gelang ihm nicht zu verhindern, daß der Sohn des Geächteten nach zehn Jahren wieder in seinem Stamm aufgenommen wurde. Tatanka- yotanka, der größere Geheimnismann, war dazwischengetreten, ehe Hawandschita Harka am Pfahl opfern konnte.
    Eines Tages hatte dann der Alte den Schonka, diesen Feind Harkas, zu seinem Zaubergehilfen gemacht. Aber Schonka war im Grunde ein Schwächling, und jetzt war er zu den weißen Männern gelaufen. Hawandschita haßte die weißen Männer, weil sie nicht an die Geheimnisse glaubten. Aber er wußte auch, daß sie selbst Geheimnisse besaßen, die er für echten Zauber

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