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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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auf. Er verschwand sofort wieder.
    Der junge Häuptling trat hinaus aus dem dämmrigen Tipi in die schwarze Nacht. Schwere Wolken bedeckten Mond und Sterne. Kein Schimmer ringsum, nur ein ganz schwaches Flimmern der Eisfläche auf dem Tümpelboden leuchtete. Der Wind hatte nachgelassen. Es mußte bald wieder Schnee fallen. Noch immer heulten ein paar Hunde. Es waren vielleicht fünf oder sechs. Die meisten waren von den hungernden Menschen schon geschlachtet und aufgegessen worden.
    Der Häuptling lauschte und spähte. Er beobachtete zwischen den Zelten einzelne huschende Gestalten. Sie verschwanden in den Tipi und kamen wieder heraus, um gleich darauf in andere Zelte zu schlüpfen. Er erkannte trotz der Finsternis Uinonah. Mit ihr waren zwei kleine Mädchen unterwegs. Als das eine davon in der Nähe des Häuptlings vorbeilief, rief er sie. »Blitzwolke!«
    Die Kleine eilte flink herbei.
    »Was hört ihr in den Zelten?«
    »Die Frauen wollen alle gehen, weil ihre Kinder hier hungern und weil wir kein Wasser haben. Die von deinem Plan wissen, packen schon. Die Männer hindern sie nicht daran.«
    »Die Männer schweigen aber?«
    »Manche schweigen und warten noch darauf, wie Hawandschita, der Geheimnismann, entscheiden wird. Aber die drei Raben sind schon entschlossen, für deinen Plan zu stimmen. Sie sind nicht so klug wie Tschapa Kraushaar und sehen darum nicht alle Gefahren, und sie sind nicht so stolz wie Tschetansapa und wollen darum die Waffen nicht gebrauchen. Sie haben dich verraten, Häuptling, aber nun, wenn du ihnen einen Weg zeigst und eine Hoffnung, wollen sie mit dir sein.«
    »Hat das Uinonah gesagt?«
    »Ja, das waren ihre Worte. Die Frauen und nicht wenige Männer halten Uinonah für eine sehr große Geheimnisfrau, weil sie immer geträumt hat, daß du noch lebst!«
    »Lauf weiter. Ihr werdet gleich mein Signal hören. Dann sollen alle kommen. Hau. Mit Hawandschita spreche ich selbst.«
    Der junge Häuptling nahm die Signalpfeife an die Lippen, die Tashunka-witko ihm anvertraut hatte, und er blies den schrillen, hellen Ton, der klang wie der Schrei eines jungen Adlers.
    Wie auf einen Zauberschlag öffneten sich rings im Dunkel die Zelte. Der Ton der Kriegspfeife war jedem Dakota von Kindheit an vertraut, und schon die Knaben hatten sich darin geübt, bei diesem Signal aus dem Schlaf zu fahren und sofort auf den Beinen zu sein. Wer sich bei dem Signalpfiff noch einmal die Augen rieb, der wurde von allen ausgelacht und verspottet. Fast von selbst gehorchten die Glieder dem Ton der schrillen Pfeife, ohne bewußten Befehl des Willens. So war es in den Tagen der Freiheit gewesen, und keiner hätte damals etwas anderes erwartet, als daß in der Minute nach dem Signal die Krieger auch schon bei ihrem Häuptling waren.
    Heute wußte keiner vom anderen, ob er folgen werde oder nicht; denn die in den Tagen der Freiheit so selbstverständliche Einigkeit der Dakota war zerbrochen. Aber als die Männer aus den Zelten eilten und ein jeder sah, daß der andere kam, packte alle eine große Erwartung. Der alte Rabe und seine beiden Söhne langten als erste bei dem Häuptling an. Tschotanka, Speerspitze, Ihasapa waren auch schon da. Nach den Kriegern zeigten sich die Frauen und Mädchen und die Kinder. Sie drängten sich gegenüber dem Zelteingang. Alle Frauen waren gekommen, nur Untschida fehlte noch, und der junge Häuptling vermißte sie. Das Zeltfeuer war heller angefacht und beleuchtete den Heimgekehrten im Schmuck der Adlerfedern.
    »Er lebt!« Viele Stimmen riefen es, einige schon jauchzend, andere noch fragend. Daß der Totgeglaubte lebendig vor ihnen stand, erschien vielen wie ein Zeichen der Geister, dem sie folgen wollten.
    Der junge Häuptling sprach noch nicht. Sein Blick glitt immer wieder suchend in die Dunkelheit, denn einer der Männer fehlte.
    Hawandschita, der Zauberer und Arzt und Älteste, der Friedenshäuptling der Bärenbande, zeigte sich noch nicht. Auf sein Kommen warteten alle, denn nach altem Brauch mußte er zu einem Unternehmen ja sagen, ehe der Kriegshäuptling es durchführen durfte.
    Warum kam Hawandschita nicht? Tschetansapa, nach dem der Zauberer verlangt hatte, war da. Er war da, wenn er auch nicht hören, nicht sprechen und sich nicht erheben konnte. Aber die Männer schämten sich des Verfemten nicht mehr. Sie ließen ihn in seinem Zelt liegen und hatten ihn nicht wieder in die Einöde gejagt.
    Hawandschita kam noch immer nicht.
    Der junge Häuptling ermannte sich und sprach allein

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