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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sich seine lange, beinahe unheimlich magere Gestalt am Boden durch den Zeltschlitz herein. Noch ehe er sich erhob, musterten seine vom Fieber erhitzten Augen das Zeltinnere und alle Anwesenden. Dann stand er auf, wie es schien, mit Mühe, und kam zum Feuer heran. Der Häuptling sah die Bastbinden und zwei offene eiternde Wunden. Der schmale Schädel zeigte die Narbe eines Messerstichs. Hunger, Durst und Haß standen in den Zügen des Mannes geschrieben, und er sah sich noch einmal um, als ob er sich verfolgt glaubte. Aber dann überwältigte ihn die Freude, eine wilde, aufbegehrende Freude darüber, daß Hapedahs Botschaft Wahrheit war.
    Er setzte sich nicht. Tokei-ihto war aufgestanden.
    »Tokei-ihto!« Tschetansapa sprach hastig. »Mein Häuptling, unser Bruder! Du bist da. Aus meinem Zelt werden dich die Kojoten nicht wieder verjagen.«
    »Ich weiß, Tschetansapa, daß du für mich gesprochen und für mich gekämpft hast.«
    Tschetansapa wehrte ab. »Du hast auch mich nicht vergessen; du hast mich gerufen. Ahnt Schonka, daß du hier bist?«
    »Er wird mich hier suchen.«
    Mongschongschah hatte sich erhoben und stand wartend
    in der Nähe der beiden Männer. Sie hatte zwei geröstete Krähen in der Hand, die sie dem Gatten als Essen mitgeben wollte.
    Tschetansapa stieß einen Ton aus, der ein Lachen sein sollte. »Iß die Krähen selbst«, antwortete er der stummen Geste Mongschongschahs, »oder gib sie Hapedah. Ich brauche kein Fleisch mehr.« Er wandte sich wieder seinem Häuptling zu. Mongschongschah ging mit gebückten Schultern zu ihrem Platz am Zeltrand zurück. »Meine Kraft ist zu Ende«, erklärte der Krieger seinem Häuptling. »Die Wunden heilen nicht mehr. Ich sterbe, das kümmert mich wenig. Ich will nicht mehr verborgen leben und mich nachts in mein Zelt schleichen, um Hapedah die Nahrung wegzuessen. Ich sterbe, aber ich will nicht allein sterben.«
    »Du wirst nicht sterben, Tschetansapa.«
    Es schien, daß der Mann die Worte überhaupt nicht gehört hatte. Seine Gedanken bohrten weiter. Er hatte den Häuptling am Arm gefaßt. »Hast du vernommen, Tokei- ihto? Ich werde sterben, aber du sollst mich rächen. Rufe unsere Männer auf. Sie sollen alle zum Messer greifen und kämpfen. Hier leben wir nur, um zu verrecken. Das wollen wir nicht mehr. Hörst du!«
    »Wir wollen nicht hier leben«, antwortete der junge Häuptling, »das ist wahr. Wir gehen fort, heute noch in der Nacht.«
    Tschetansapa wollte sich niedersetzen, aber er brach zusammen. Tokei-ihto sprang herbei, legte ihn auf Decken und Felle und kniete sich zu ihm. Der Krieger kämpfte um Luft. Es war lange still. »Was sagtest du?« fragte er dann.
    »Wir wollen leben.«
    Tschetansapa schien bei diesen Worten zu versteinern. Allmählich aber verzogen sich seine Züge. »Tatanka- yotanka ist uns davongelaufen. Tashunka-witko hat sich ergeben, und Tokei-ihto geht unter die Feiglinge, er will leben.« Dem Verwundeten machte das Sprechen große Mühe, aber seine Erregung war so groß, daß er immer weitere Worte hervorstieß. »Sage mir jetzt … willst du kämpfen und mir die Skalpe der Langmesser mit auf den Weg in die ewigen Jagdgründe geben, oder willst du es nicht?«
    »Tschetansapa! Wir kämpfen auf eine andere Weise, als du jetzt glaubst. Du kommst mit uns. Wir brauchen dich.«
    Tschetansapa schien sich zu bemühen, den Sinn der dunklen Worte zu verstehen oder ihnen wenigstens zu vertrauen, aber dann brach wieder die Erbitterung des Besiegten, des Verfolgten und Gehetzten in ihm auf.
    »Tokei-ihto«, sagte er, »du bist immer mein jüngerer Bruder gewesen, das weißt du. Aber wenn du feige wirst … schäme ich mich für dich. Damit du wieder ein Mann wirst, sage ich dir die Worte, denen du nicht mehr ausweichen kannst …«
    »Ich weiche nicht aus. Ich gehe meinen Weg, und unsere Zelte nehme ich mit – und wenn ich sie mit meinen Waffen dazu zwingen muß. Hau!«
    »Höre und vernimm meine Worte: Du bist der Sohn eines Verräters. Wenn du ein Krieger und ein Häuptling sein willst, so kämpfe – wenn du aber nicht kämpfen willst …«
    Tokei-ihto hatte sich wieder erhoben. »Du sprichst«, sagte er, »wie Schonka zu mir gesprochen hat. Du kannst mich töten, sobald ich das getan habe, was ich für die Söhne der Großen Bärin, für ihre Frauen und Kinder noch tun muß. Vorher nicht. Ich lasse mich nicht zwingen.«
    Tschetansapa versuchte, sich auch wieder zu erheben, aber er fiel zurück.
    Der junge Häuptling winkte Mongschongschah

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