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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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aufs Pferd. Er führte die Truppe und ritt daher voran. Hapedah beobachtete die Gegend wie ein Falke. Es fiel ihm sofort auf, daß der Ritt nicht nach Osten, sondern nach Westen ging. Man wollte ihn auf ein ganz entlegenes Fort bringen, wo die Truppe ihren Standort hatte. Er mußte so tun, als ob er sich damit abgefunden habe. Nur wenn das Mißtrauen der Feinde einschlief, hatte er Hoffnung auf Entkommen.
    Die Gegend veränderte sich wenig. Im Westen grüßten die blauen Umrisse des Felsengebirges; ringsum grünten und blühten die Wiesenhügel; im Süden brauste das schlammgelbe Hochwasser. Von Ihasapa und Tschaske hatte Hapedah nichts mehr gesehen, sie hatten ihm auch kein Zeichen gegeben. Aber Hapedah war überzeugt, daß sie seinen unfreiwilligen Ritt beobachteten und ihm heimlich folgten. Vielleicht war es nach Einbruch der Dunkelheit möglich, miteinander in Verbindung zu treten. Ruhig und scheinbar gleichgültig, wie ein erwachsener Krieger, ertrug der Sohn Tschetansapas seine Gefangenschaft. Das wichtigste war, daß die Milahanska und der Scout seiner Mitteilung, die Bärenbande sei im Hochwasser umgekommen, offenbar Glauben schenkten.
    Es wurde Abend, die Wiesen schimmerten in der untergehenden Sonne.
    Die Dragoner bezogen Biwak für die Nacht. Sie entzündeten Feuer, wärmten ihre Konservendosen und machten Witze, die Hapedah nicht verstand.
    Der Scout holte sich den Jungen wieder her und begann ihn genauer auszufragen. Hapedah erzählte von der Verfolgung durch Red Fox und von der Überfahrt, deren Schrecken er nicht zu erfinden brauchte, er hatte sie erlebt. Seine Schilderung klang glaubwürdig.
    »Komm du mal zu uns«, wiederholte der Scout, »diene uns tüchtig und treu, dann kannst du ein berühmter Kundschafter werden, wie Chef de Loup einer ist und Harry einst einer war. So einen klugen Jungen wie dich können wir gebrauchen.«
    »Ja, so wie Harry will auch ich werden«, bestätigte der Dakotajunge, und der Scout ahnte nicht, was diese Worte in Hapedahs Mund zu bedeuten hatten.
    Während der Scout mit Hapedah sprach, war das Witzemachen und Lachen und auch die ernsthaftere Unterhaltung der anderen weitergegangen.
    »Drei Rancher sind mit dem Rest ihres Viehs vor dem Hochwasser geflohen, zu denen hat sich ein Biberjäger gefunden, der sich hier in der Gegend umhertrieb …, paar Cowboys sind auch dabei und die Frauen«, fing Hapedah auf. Das genügte für die wache Kombinationsgabe des kleinen Gefangenen. Ein Biberjäger? Konnte das nicht Adams sein? Adams wartete hier in der Gegend.
    Es war dunkel. Für den Leutnant hatten die Soldaten ein Zelt aufgeschlagen, sie selbst machten es sich auf der Wiese in Decken bequem. Den Pferden wurden die Sättel nicht abgenommen. Sie standen beisammen und wurden bewacht. Hapedah hatte sich auf ganz unverdächtige Weise mitten zwischen die Soldaten gelegt. Er hatte genau aufgemerkt, als die Wachen verteilt wurden. Von Mitternacht an ging der Scout zwei Stunden auf Wache. In dieser Zeit durfte Hapedah nichts unternehmen. Wenn er aber vorher entwich, bemerkte der Scout seine Abwesenheit, sobald er auf Wache ging. Also blieb für Hapedahs Vorhaben nur die kurze Spanne zwischen zwei Uhr morgens und Sonnenaufgang.
    Der Dakotajunge schloß die Augen und zwang sich einzuschlafen. Er brauchte seine Kräfte. Er konnte sich darauf verlassen, daß er rechtzeitig wieder aufwachte. Zur gewollten Zeit aufzuwachen, hatte er gelernt. Die weißen Männer glaubten zumeist, daß ein kleiner Indianer nichts gelernt habe. Sie täuschten sich darin sehr. Auch Indianerkinder machten eine gründliche und strenge Schule durch. Nicht erst seit seinem sechsten, schon seit seinem vierten Jahr lernte Hapedah.
    Er hatte reiten, schießen, das Wild und den Feind beobachten, sich selbst streng beherrschen, Hunger und Durst ertragen gelernt. Er hatte gelernt, die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie für ihn selbst ungünstig war, und er kannte die Geschichte der Dakota. Er konnte die Zeichensprache verstehen, und er wußte die Bilderschrift zu lesen und selbst zu zeichnen. Er konnte einen Pfeil schnitzen, ein Zelt bauen und sich in unbekanntem Gelände zurechtfinden. Noch einige Jahre, dann wollte er ein Krieger werden …
    Hapedah erschrak, als seine Gedanken im halben Träumen bei diesem Punkt angekommen waren. Er würde nie ein Krieger werden, denn die Bärenbande wollte jetzt gefleckte Büffel züchten und mit allen guten roten und weißen Menschen in Frieden leben. Alle guten … ja, aber es gab

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