Über den Missouri
Mann, der einen bissigen Unterlegenen schonte. Vielleicht war der gegenwärtige Augenblick der erste in Schonkas Leben, in dem er sich seinem Stammesgenossen und ehemaligen Häuptling gegenüber ganz sicher und vollständig überlegen glauben durfte. Wer konnte ihn noch daran hindern, in dieser Lage seiner alten Feindseligkeit Genüge zu tun und Tokei-ihto zum Äußersten, damit auch in neue Gefangenschaft oder in den Tod zu treiben?
In jedem Bruchteil einer Sekunde konnte Tokei-ihtos Beherrschung zerreißen und der Kampf beginnen.
»Nur nicht immer so trocken!« Johnnys Baßstimme dröhnte in die gefahrenträchtige Stille hinein. »Das trockene Reden taugt überhaupt nichts. Erst einmal einen Drink, und dann beraten wir diese schwierige Angelegenheit weiter.« Er zwinkerte mit den Augen, und Tobias steckte dem dicken Wirt im Nu zwei Münzen in die Hosentasche. Johnny befingerte sie, und das Sümmchen schien ihm nicht übel zu gefallen. Im Umsehen standen gefüllte Becher vor den Lagerpolizisten. Schonka wandte sich von Tokei-ihto ab und dem Brandy zu. Auch Blutiger Tomahawk griff nach dem Becher.
»Oh, was sehe ich!« hänselte Louis, der Canadier. »Mister Agent hat den Sioux den Brandy verboten. Aber die Messieurs hier wollen einen Drink tun!«
»Den Oberpolizisten einen Doppelten!« unterstützte Philipe seinen Betreuer und Gönner in der Spottrede, und es war dem Burschen anzusehen, wie er diese Indianer verachtete.
Schonka warf den Weißen nur einen zornigen Blick zu, aber Blutiger Tomahawk fühlte sich veranlaßt, aus gereiztem Amtsbewußtsein heraus zu antworten. »Blutiger Tomahawk weiß selbst, was sich gehört und was nicht. Die entlassenen Rauhreiter haben darüber nicht zu bestimmen.«
Unterdessen hatte Johnny schon seinen Becher geleert und ihn mit einem »Zum Wohl!« auf den Tisch zurückgestellt. Blutiger Tomahawk gedachte, sein Ansehen in der Runde in der gleichen Weise wiederherzustellen. Auch er hob den Becher, gab Bescheid und goß den Branntwein hinunter. Die Leichtigkeit, mit der dies geschah, verriet, daß er heute nicht zum erstenmal trank. Der uniformierte Geck mit der Reitpeitsche in der Hand hatte seinem Obersten anerkennend zugesehen und war entschlossen, es ihm augenblicklich nachzutun.
Aber er verschluckte sich, und prustend spie er den Alkohol wieder aus. Die Uniform bekam Flecke, und die Umsitzenden lachten ihn aus. Der junge Mensch wurde schamrot.
»Johnny mag mir sofort Wasser geben, damit ich meinen Rock reinigen kann! Es ist der Kriegsrock eines Generals!«
»Mein cousin hat die Uniform von einem General!« zog ihn der Canadier auf. »Wer hat sie ihm gegeben? Hat er große Courage gezeigt, und der große Vater in Washington hat ihm eine Uniform verliehen?«
»Nicht geliehen!« erzürnte sich der junge Kerl. »Mein Name ist Tatokano, das heißt Antilope, und ich bin jüngster Sohn von Alte Antilope. Für viele Biberfelle habe ich mir die Uniform gekauft!«
»Oh, großer Vater hat verkauft diese Uniform von einem General an einen kleinen roten Bruder … sehr teuer? Für hundert gestohlene Biberfelle, die die Dakota suchen?«
»Daß ich nicht lache, eine Generalsuniform!« rief Pitt mit der Stummelnase, der eben im Würfelspiel gewonnen hatte. »Mein schöner Eddy, weißt du, was du bist? Ein Musikus, kein General! Wer hat dir denn den Bären aufgebunden?«
Die Lippen Eddy-Tatokanos zitterten. »Du verstehst nichts«, sagte er in verzweifelter Abwehr, während ihn schon das dumpfe Gefühl beschleichen mochte, daß Pitt recht habe. »Die Uniform ist aus Washington, und sie war die Uniform eines Reitergenerals vom einunddreißigsten Regiment. Ich habe es schriftlich!«
Jetzt erhob sich ein allgemeines Gelächter. »Schriftlich?! Zeig doch her!«
Dem schönen Eddy kamen fast die Tränen vor Wut. »Hier!« Er zog einen kleinen bedruckten Zettel hervor.
»Gib mal her! Das wird ja interessant!« Der Canadier streckte die Hand nach dem Zettel aus.
»Nein. Ich behalte ihn. Die weißen Männer dürfen ihn nur in meiner Hand lesen.« Eddy-Tatokano glättete sein Dokument auf dem Tisch und hielt es dann wieder in die Höhe. »Hier steht …«
»31. Januar 1876!« las Johnny laut vor. »Und außerdem: Hochmut kommt vor dem Fall! Das ist ein schöner Kalenderzettel!«
»Oh«, seufzte der Geck bestürzt.
Der Canadier klopfte ihm auf die Schulter. »Ja, mein kleiner Bruder, das stimmt. Du kannst dich nicht beklagen, daß du betrogen bist. Es ist die reine Wahrheit!«
»Aber
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