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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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wachsen!«
    Die Miene des Wirtes kräuselte sich ablehnend. »Abschied? Was soll das heißen?«
    »Eh, mein sehr lieber Jean, wir sind entlassen, Crazy Horse ist besiegt; der Krieg ist zu Ende, und Freddy braucht uns Rowdies nicht mehr. Er will seine Dollars lieber selbst versaufen, hat er gesagt. Er läßt uns fortschicken, und in den Büchern steht noch unsere Löhnung. Oh, mein lieber Johnny-Jean, die Welt ist sehr schlecht. Freddy denkt, die roten Verräter sind billiger, und organisiert die indianische Lagerpolizei.« Louis schnitt sich ein zweites großes Stück Schinken herunter. »Aber ich gehe fort. Ich gehe dahin, wo die Menschen noch besser sind!«
    Er fing an, eine sehnsüchtige Melodie zu pfeifen. »Johnny-Jean, mein Bruder, kennst du nicht Canada?«
    »Kann man da mehr verdienen als hier?«
    »Johnny-Jean, du bist ein Mann ohne Sehnsucht, du hast keine Poesie, du bist ein gutes Schwein an einem vollen Trog. Aber mein Vater war ein Jäger und ein Voyageur; er ist gekommen aus Frankreich, und er ist gegangen nach Canada. In Canada ist es schön, da muß man leben!«
    »Ja«, warf Tobias, der Delaware, ein. »Canada ist noch frei.«
    Der Reiterführer hob sein Glas. Er freute sich, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. »Mein roter Bruder, du kennst Canada, meine Heimat? Mein Vater war Voyageur in Canada, hat gehandelt mit vielen guten Sachen. Er hatte ein großes Boot, damit sind wir über die grands lacs gefahren, über die großen Seen, als ich ein enfant war, noch ganz klein. Mein Vater hat gesungen, meine Mutter hat gesungen, wir sind fröhlich gewesen. Die roten Männer sind alle unsere cousins gewesen, sehr freund. In Canada ist das Leben schön. Ich weiß nicht, warum ich bin gegangen, aber mon dieu, das war schlecht, sehr schlecht.
    Jetzt bin ich hier, aber es gefällt mir nicht. Soll ich wieder gehen nach Canada? Oui? Freddy ist ein Monstrum, er hat kein Herz, er hat mich entlassen, nachdem ich besiegt habe die Sioux-Dakota. Aber die roten Männer sind meine cousins, sie lieben die Freiheit wie ich – warum habe ich sie totgeschossen?« Der Sprecher trank noch eins, um seinen Kummer zu ersäufen. Der einzige der Rauhreiter, der ihm zugehört hatte, war der junge Philipe. Die übrigen hatten inzwischen schon zu den Pfeifen gegriffen und würfelten mit Geschrei und dröhnenden Faustschlägen um den kümmerlichen Rest ihres Glücks.
    Pitt blinzelte dem Wirt zu. »Johnny – hast ’ne Stelle für mich? In deinem warmen Stall hier? Ich kann ausschenken. Freddy meinte …«
    »Laß ihn meinen!« Johnny wehrte unwirsch ab. »Wärst besser am Niobrara geblieben!«
    Der Wirt trug zwei der Schinken wieder fort und schenkte nicht so bald wieder ein. An Gästen, die nicht zahlen konnten, hatte er kein Interesse. Er nickte Tobias zu und machte sich mit dessen Schriftstück zum zweitenmal auf den Weg. »Jetzt wird Charly vielleicht wieder dasein«, vermutete er.
    Diesmal blieb Johnny lange aus.
    Der Delaware bot dem Canadier Tabak an. Louis setzte sich zu den Indianern herüber und ließ sich gern weiter ins Gespräch ziehen.
    »Daß euch Freddy Red Fox nicht mehr braucht, nimmt mich wunder«, nahm Tobias den Faden auf.
    »Oh, mon dieu, mein roter Bruder. Freddy ist ingrat und vilain undankbar und gemein. Die Dakota sind in die Reservation hineingequetscht, wir haben dabei geholfen, nun braucht man uns nicht mehr!«
    »Und Sitting Bull?«
    »Weiß nicht. Vielleicht ist er gegangen nach Canada, vielleicht ist er auf dem Weg zu einem Meeting mit dem großen Vater in Washington, wer will es wissen? Viele Zungen reden vieles.«
    »Crazy Horse und seine Männer aber, wo sind sie?«
    »Lieber Cousin, General Miles mit seinen Geschützen hat sie ganz besiegt, und sie sind im Winter über fünfhundert Meilen bis in unsere Gegend hier getrieben worden. Vor zwei Tagen sind sie bei Fort Robinson angekommen. Sie haben keine Waffen mehr, sie haben viele ihrer Zelte und ihrer Decken verloren, sie hungern, und ihre Kinder frieren. Das macht müde und trist, mein roter Bruder, und was sollten sie tun? Sie werden ebenso gehorchen müssen wie alle Dakotas.«
    Tokei-ihto schob dem Canadier den mit Branntwein gefüllten Becher zu, den Johnny dem Dakota hingestellt, von dem dieser aber noch nicht getrunken hatte.
    »Merci, merci, danke!« Der Canadier trank.
    »Tashunka-witko, den die weißen Männer Crazy Horse nennen, lebt also noch und ist ganz in unserer Nähe?« fragte Tokei-ihto.
    »Ein Stück westwärts von hier. Auf

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