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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Gespräch, jetzt im Gespräch mit Tschotanka. Die Knaben erreichten die beiden. Sie waren zu beherrscht, um sofort loszuplappern. Aber Tokei-ihto mochte ihren glänzenden Augen und ihren glühenden Wangen angesehen haben, daß ihnen die Meldung, die sie zu machen hatten, sehr wichtig erschien. Er gab ihnen das Zeichen zu sprechen.
    »Tschaske Breitbeinig hat einen Bären gesehen, den der jüngste Rabe uns zeigte, und auch ich habe das Tier dann erblickt«, berichtete Hapedah. »Der Bär ist auf einen Baum geklettert, oben am Berg, einen Pfeilschuß weit.«
    Die Männer horchten auf.
    »Ich will ihn mir nehmen«, sagte Tokei-ihto. Die Jungen sahen ihn gespannt an.
    »Lauf, Tschaske«, bat der Häuptling, »und hole mir meinen weißen Bogen und einen Pfeil. Uinonah gibt dir die Waffe.«
    Tschaske schnellte los. Als er zurückkehrte, trug er den kostbaren Bogen und einen Köcher aus Otterfell, in dem noch vier Pfeile steckten. Tokei-ihto nahm den Bogen und einen Pfeil. Den Köcher und drei Pfeile ließ er in der Hand des Jungen.
    Der Häuptling und die Krieger gingen zu dem großen Baum, in dessen Krone der Rabe saß, und auch die beiden Jungen kamen mit. Tokei-ihto schwang sich in das Geäst hinauf und kletterte bis zu dem im Wipfel stationierten Kundschafter. Nachdem er von dort Ausschau gehalten hatte, wählte er einen starken Ast, der auch unter seinem Gewicht nicht schwankte, und legte den Pfeil an, schoß aber noch nicht. Jedenfalls mußte der dunkle Bär noch zu sehen sein, vielleicht aber nicht in schußgerechter Stellung.
    Die Knaben hatten den Bären einen Pfeilschuß weit, daß hieß in einer Entfernung von etwa dreihundert Metern, gesehen. Pfeile konnten wohl von einem guten Bogen so weit fortgeschnellt werden, aber auf diese Entfernung noch zu treffen oder gar zu töten, war nur in sagenumwobenen Fällen gelungen. Die Männer der Bärenbande wußten, daß Tokei-ihto und sein Vater Mattotaupa einen solchen Schuß schon ausgeführt hatten.
    Tokei-ihto besaß einen ausgezeichneten Bogen aus einem einzigen Stück Knochen ohne Naht, weiß und glänzend wie Elfenbein, etwa neunzig Zentimeter lang und mit Büffelsehnen belegt zur Erhöhung seiner Geschmeidigkeit. Solche Bogen konnten von den Dakota nicht hergestellt werden, da keiner der Prärietiere das Material dazu lieferte. Niemand wußte, woher er stammte. Solche Waffen gelangten auf den Handelspfaden der Indianer von der Küste ins Innere.
    Hapedah und Tschaske betrachteten ihn bewundernd und freuten sich, daß Uinonah dieses kostbare Stück so gut vor den Schergen des Red Fox versteckt hatte.
    Tokei-ihto spannte den Bogen mit äußerster Kraft. Die Sehne surrte zurückschnellend, und der Pfeil flog. Nach dem Abschuß sprang der Schütze von Ast zu Ast herab und aus einer Höhe von mehreren Metern gleich in den Schnee. »Ich laufe hin. Er wird noch nicht tot sein!« rief er den Wartenden zu und machte sich auch schon auf den Weg bergaufwärts. Der Biber folgte ihm.
    Die Zurückbleibenden mußten Geduld üben. Dreihundert Meter bergauf wollten gelaufen sein.
    Die Zelte waren inzwischen längst fertiggestellt und mit allem, was zum Gebrauch nötig war, eingerichtet. Die meisten der Frauen und Kinder und viele Männer waren schon schlafen gegangen. Nur einzelne schlenderten noch umher, und ein paar Altersgenossen von Hapedah und Tschaske fanden sich ein, um mit ihnen zu warten. Endlich ließen sich Schritte am Hang hören.
    Der Häuptling und Tschapa erschienen zwischen den Bäumen. Sie schleiften das schwarzfellige, wohl zwei Zentner schwere Tier mit. Laut jauchzten die Jungen alle auf, als sie die Beute sahen. Bei Hawandschita legte der Jäger den Bären hin und zeigte den Jagdpfeil, den er aus dem Körper gezogen hatte. Tobias, der Jagdgierige, untersuchte sofort die Wunden des Wildes.
    »Ein Blattschuß mit dem Pfeil«, stellte er fest, »aber tödlich war dieser Schuß nicht, denn der Pfeil flog schon zu schwach. Ein Messerstich hat den Bären getötet.«
    »Hau«, bestätigte Tokei-ihto und faßte unwillkürlich noch einmal nach dem geschnitzten Griff des Messers, dessen Klinge er seit seiner Entlassung aus der Gefangenschaft zum erstenmal wieder als Jagdwaffe benutzt hatte.
    Hawandschita bestimmte, daß das Bärenfleisch bei der großen Hungersnot sofort auf alle Zelte verteilt werden sollte. Der Häuptling schleppte die Beute vor das Zelt und häutete mit Tschapa Kraushaar zusammen den Bären ab. Uinonah und Mongschongschah kamen schon, um das Tier

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