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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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hätte, statt Mireyl? Es war eine bestürzende hypothetische Vorstellung: Jahre und Jahrzehnte in enger Partnerschaft mit dieser außergewöhnlichen Frau, anstatt des einsamen Außenseiterlebens, das er sich schließlich erwählte. Eine Familie. Eine tiefe Dauerhaftigkeit.
    Er stieß diese ablenkenden Erwägungen von sich. Weiter nichts als nutzlose Phantastereien, das waren sie. Er und Sundira waren Tausende von Kilometern voneinander entfernt und durch viele Jahre getrennt aufgewachsen. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, was immer sie auf Sorve an Dauerhaftem aufzubauen versucht hätten, es wäre ja doch auf jeden Fall durch die Vertreibung zerstört worden. Alle Pfade hatten zu dieser driftenden Exil-Existenz geführt, auf dieses winzige tanzende Schiff in der Mitte des Leeren Meeres.
    Sundira hatte sich von ihrem neugierigen forschenden Verstand schließlich in einen schweren Skandal verstricken lassen. Sie war Anfang zwanzig, der Vater noch immer der Inselbürgermeister; sie lebte allein am Rande der Humansiedlung von Khamsilaine und verbrachte soviel Zeit bei den Sassen, wie diese es zuließen. »Es war eine intellektuelle Herausforderung für mich. Ich wollte soviel wie möglich über die Welt lernen. Und diese Welt begreifen, das bedeutete, daß ich die Sassen begreifen lernen mußte. Ich war mir sicher, daß etwas im Gange war; etwas, das keiner von uns erkannte.«
    Sie erlernte ihre Sprache fließend - was auf Khamsilaine offenbar recht ungewöhnlich war. Ihr Vater ernannte sie zur Diplomatischen Abgesandten der Humanpopulation bei den Sassen, und sämtliche Wechselbeziehungen liefen nur über sie. Sie verbrachte ebensoviel von ihrer Zeit im Dorf der Sassen am Südende der Insel wie in ihrer eigenen Siedlung. Die meisten duldeten ihre Anwesenheit nur einfach, wie dies bei den Sassen allgemein Brauch ist; einige begegneten ihr mit offener Ablehnung, und auch dies war eher die Regel. Doch gab es einige, die schon fast freundlich zu ihr waren. Sundira gewann das Gefühl, daß sie allmählich einige von diesen als echte Individuen kennenlernte, daß sie nicht mehr nur die unheimlichen, bedrohlich großen ununterscheidbaren Fremdwesen waren, die diese Sassen offensichtlich für die meisten Menschen stets blieben.
    »Und das war mein Fehler - und ihrer auch, daß wir uns zu stark annäherten. Ich mißbrauchte unsere Vertrautheit und ihr Vertrauen. Ich erinnerte mich an bestimmte Dinge, die ich als Mädchen gesehen hatte, als Tomas und ich an Orten herumspionierten, an denen wir nicht hätten sein dürfen. Und ich stellte Fragen. Und erhielt nur ausweichende Antworten. Quälend vage Antworten. Also beschloß ich, wieder zu spionieren.«
    Aber was Sundira in den geheimen Kammern der Gillies gesehen haben mochte, sie schien nicht in der Lage, es Lawler mitzuteilen. Vielleicht wollte sie ihn nicht einweihen, vielleicht aber hatte sie auch nicht genug gesehen, um irgend etwas zu begreifen. Sie machte Andeutungen bezüglich irgendwelcher Zeremonien, Vereinigungen, Rituale, Mysterien, aber die Unbestimmtheit der Beschreibungen schien eher auf ihr mangelndes Verständnis zurückzuführen zu sein als auf ihre Weigerung, ihr Wissen mit ihm zu teilen. »Ich schlich mich an die selben Orte wie vor Jahren zusammen mit Tomas. Aber diesmal wurde ich dabei ertappt. Ich dachte schon, sie bringen mich um. Statt dessen führten sie mich vor meinen Vater und befahlen ihm, er solle mich töten. Er versprach ihnen, daß er mich ertränken werde, und das schien ihnen zu genügen. Wir fuhren in einem Fischerboot hinaus, und ich sprang über Bord. Doch er hatte mit einem Bootsmann aus Simbalimak ausgemacht, daß der mich auf der Rückseite der Insel aufnehmen würde. Ich schwamm drei Stunden bis dorthin. Und ich bin nie nach Khamsilaine zurückgekehrt. Und ich habe meinen Vater niemals wiedergesehen und auch nicht mit ihm gesprochen.«
    Lawler fuhr ihr sacht über die Wange. »Also verstehst du auch etwas davon, im Exil zu leben.«
    »Ein wenig, ja.«
    »Aber du hast bisher nie ein Wort darüber verloren.«
    Sie zuckte die Achseln. »Was machte das schon? Du hast dermaßen gelitten. Hättest du dich irgendwie leichter gefühlt, wenn ich dir gesagt hätte, daß auch ich meine Heimatinsel verlassen mußte?«
    »Vielleicht.«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie.
    EIN PAAR TAGE später, sie waren wieder im Frachtraum, und wieder sprach sie zu Lawler von dem Leben, das sie hinter sich gelassen hatte. Ein Jahr auf Simbalimak - und

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