Über den Wassern
vergeuden. Also, was tun? Die Tinktur mit Seewasser mischen? Damit konnte er - wenigstens eine Zeitlang -hinkommen; es würden sich allerdings akkumulative Nebenwirkungen in den Nieren zeigen, wenn er das über längere Zeit praktizierte, aber schließlich durfte man ja immer noch auf etwas Regen hoffen, morgen oder in ein paar Tagen, und dann konnte er sich wieder innerlich sauberspülen.
Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, die Droge ganz einfach nicht mehr zu nehmen.
Er versuchte das eines Morgens - als ein reines Experiment. Gegen Mittag setzte ein merkwürdiges Kopfjucken ein. Am Spätnachmittag juckte seine ganze Haut, als hätte er eine Schuppenflechte. Und als es dämmerte, hatte er einen Tremor und schwitzte vor Verlangen nach der Droge.
Sieben Tropfen - und seine Übererregtheit machte wieder der alten vertrauten und geliebten Abstumpfung Platz. Aber sein Vorrat nahm immer mehr ab. Und dieses Problem war für Lawler gravierender als die Trinkwasserknappheit. Schließlich, hoffen durfte man ja immer noch, daß es bald einmal wieder regnen werde. Aber das Taubkraut schien in diesen Gewässern nicht zu wachsen.
Er hatte eigentlich damit gerechnet, die Pflanze zu finden, wenn sie in Grayvard landeten. Aber das Schiff würde nun nie mehr nach Grayvard kommen: Er hatte gerade noch genug Taubkraut für ein paar Wochen, schätzte er. Vielleicht nicht einmal soviel. Und bald würde es aufgebraucht sein, restlos.
Und dann? Was dann?
Versuch einfach, es bis dahin mit etwas Meerwasser zu mischen.
SUNDIRA ERZÄHLTE ihm noch mehr aus ihrer Kindheit auf Khamsilaine, ihren turbulenten Jugendjahren, von den späteren Wanderungen von Insel zu Insel, von ihren ehrgeizigen Erwartungen und Hoffnungen, den heftigen Bemühungen und den Fehlschlägen. Sie saßen stundenlang in der dumpfen Dunkelheit, die Beine zwischen die Packkisten ausgestreckt, Hand in Hand wie Jungverliebte, während das Schiff ruhig durch die tropische See glitt. Sie fragte ihn auch nach seinem Leben aus, und er erzählte ihr die kleinen Episödchen aus seiner ereignislosen Knabenzeit und aus den gleichmäßig ruhigen, sorgsam bewußt so gestalteten Erwachsenenjahren auf der einen Insel, die er gekannt hatte.
Dann stieg er eines Nachmittags hinunter, um sich aus seinen Vorratskisten frische Medikamente zu holen, und hörte Keuchen und Gestöhn aus einem dunklen Winkel des Frachtraums dringen. Und es war ihr besonderes Versteck, das Liebesnest... und es war die Stimme einer Frau. Neyana war in der Takelung, Lis in ihrer Kombüse, Pilya hatte Freiwache und aalte sich auf Deck. Die einzige andere Frau an Bord war Sundira. Wo war Kinverson? Er war mit Pilya in der Ersten Wache, also hatte auch er jetzt frei. Also war es wohl Kinverson, dort hinter diesen Kisten, der Sundiras bereitwilligem Körper diese keuchenden Lustlaute entlockte.
Also hatte die Beziehung zwischen den beiden - und Lawler wußte nur zu gut, von welcher Art sie war - ganz und gar nicht aufgehört; auch jetzt nicht, trotz der neuen Intimität zwischen ihr und ihm, der anvertrauten privaten Dinge aus ihrem Leben und des zuckersüßen Händchenhaltens.
Acht Tropfen Taubkrautextrakt halfen ihm, das zu verkraften. Mehr oder weniger.
Er prüfte nach, was von seinem Vorrat noch übrig war. Nicht viel. Gar nicht mehr viel.
AUCH DAS ESSEN wurde allmählich zum Problem. Es war schon so lange her, daß sie Frischfisch gefangen hatten, daß ein neuerlicher Angriff eines Schwarms von Hexenfischen schon beinahe als etwas Erwünschtes erschien. Sie zehrten von ihrem immer knapper werdenden Vorrat von Dörrfisch und Algenpulver, ganz als wären sie mitten in einem tiefen arktischen Winter. Manchmal gelang es ihnen, eine Ladung Plankton an Bord zu holen, indem sie eine Stoffbahn hinter dem Heck herzogen; aber Plankton schmeckte, als äße man groben Sand, und war außerdem bitter und schwer verdaulich. Es traten erste Mangelsymptome auf. Wohin Lawler blickte, er sah rissige Lippen, glanzloses Haar, fleckige Haut, fahle ausgemergelte Gesichter.
»Es ist Wahnsinn«, brabbelte Dag Tharp. »Wir müssen umkehren, oder wir werden alle sterben.«
»Und wie?« fragte Onyos Felk. »Riechst du irgendwo Wind? Wenn hier irgendwas weht, dann nur von Ost.«
»Das macht doch nichts«, sagte Tharp. »Wir werden schon einen Weg finden. Warum schmeißen wir nicht diesen Scheißkerl Delagard über Bord und wenden. Was meinst du dazu, Doc?«
»Ich meine, daß wir sehr bald Regen brauchen und einen dicken
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