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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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seltsamer Gefühle. Aber als Dag Tharp sich an ihn wandte und ihn fragte, ob er denn gar keine Angst habe, reagierte Kinverson mit ausdruckslosem Gesicht, als sei eine solche Frage für ihn sinnlos, und dann starrte er den Fragenden hochmütig an, als sehe er auch keine Veranlassung zu einer weiteren Erklärung.
    »Angst?« sagte er gleichmütig. »Nein. Sollte ich denn welche haben?«
    Daß alles auf der ‚Insel’ sich ständig bewegte, erschien Lawler als das Bestürzendste an der ganzen neuen Erfahrung. Nichts stand da still. Was sich da längs der Küstenlinie an Vegetation ausbreitete (sollte es tatsächlich pflanzliches Wachstum sein!), sah aus, als befände es sich in einem beständigen unaufhaltsamen Prozeß intensiven, kraftvollen, sich umschichtenden Wachstums. Nirgends sah er Ruhe, Stille, Stagnation. Und es waren nirgendwo erkennbare topographische Strukturen zu sehen... alles wogte und peitschte und wand sich zu einem schimmernden wirren Gewebe einer glitzernden Substanz zusammen, und entwebte sich wieder, und peitschte in einem endlosen irren Tanz übersprudelnder Energieverschwendung um sich, wie es durchaus vom Beginn der Zeit an so gewesen sein mochte.
    Sundira trat neben ihn und legte ihm sanft die Hand auf die nackte Schulter. Und so standen sie und spähten nach vorn und wagten kaum zu atmen.
    »Diese Farben«, sagte sie leise. »Die elektrische Energie.«
    Und es war ein phantastisches Schauspiel. Aus jedem Millimeter Fläche entströmte unablässig Licht. Jetzt war es rein weißes, dann leuchtend rotes, dann das allerdunkelste Violett, das in undurchdringliches Schwarz hinüberglitt. Und dann kamen Farben, die Lawler kaum zu benennen gewußt hätte. Und sie waren wieder verschwunden, bevor er sie richtig wahrnehmen konnte, und andere, ebenso gewaltige, traten an ihre Stelle.
    Es war ein Licht, das die Qualität eines gewaltigen Geräusches besaß: Es war eine Explosion, ein schreckliches Getöse, ein scharfes, wirres Hämmern. Der überwältigende Energieschwall hatte etwas Perverses, etwas Gewalttätiges und Irres: Denn eine derartige wütende Wucht konnte ja wohl kaum vernunftgesteuert sein. Gespenstische Eruptionen eisiger Flammen tanzten herauf und loderten und verschwanden und machten neuen Platz. Es war unmöglich, das Auge zu lange auf einen Punkt zu fixieren; die Ausbrüche von Farbexplosionen zwangen immer wieder zum Wegsehen. Und auch wenn du nicht direkt hinsiehst, dachte Lawler, hämmert das beständig auf dein Gehirn ein, ob du willst oder nicht. Dieses - Ding da drüben war so etwas wie ein gigantischer Radiosender, der unerbittlich seine Programme auf den biosensorischen Wellenlängen ausstrahlte. Lawler spürte, die tastenden, bohrenden Ausstrahlungen, die ihn erforschten, in seinem Gehirn und Bewußtsein herumtasteten wie gleitende unsichtbare Finger, die seine Seele streichelten.
    Er stand da, zu keiner Bewegung fähig, zitternd, und hatte einen Arm um Sundiras Hüfte geschlungen. Sämtliche Muskeln von der Kopfhaut bis zu den Zehen waren angespannt.
    Dann brach durch das irre Lichtgeflirre etwas anderes, etwas ebenso Irres und Gewaltsames, aber dennoch viel vertrauter: Nid Delagards Stimme, verzerrt zu einem rohen, scharfen und brüchigen Krächzen, aber dennoch immer noch als seine Stimme erkennbar. »Also! Alle Mann zurück auf ihre Posten! Alle! Wir haben zu tun!«
    Delagard keuchte schwer, was eine ungewohnte Erregtheit verriet. Sein Gesicht blickte finster und sturmverheißend, als brodle in ihm ein heimliches Gewitter. Mit ungewohnt verzweifelter Hektik rannte er zwischen den Leuten auf dem Deck umher, packte sie sich einen nach dem anderen mit festem Griff und drehte sie herum, so daß ihre Augen vom ANTLITZ abgewandt waren.
    »Dreht euch um! Schaut nicht hin! Das verrückte Licht hypnotisiert euch, wenn ihr da ‘ne Weile reinglotzt!«
    Lawler merkte, wie Delagards Finger sich ihm heftig in die Muskeln der Oberarme bohrten. Er gab dem Zug nach und ließ sich von dem unerhörten Schauspiel wegzerren, das da über dem Wasser stattfand.
    »Du mußt dich zwingen, das nicht anzuschauen!« sagte Delagard. »Onyos - ans Ruder! Neyana, Pilya, Lawler, los! Wir müssen die Segel in den Wind setzen! Wir müssen einen Hafen für uns finden!«
    SIE SEGELTEN mit zu Schlitzen verkniffenen Augen und mühsam abgewandtem Blick, um nicht das unbegreifliche Schauspiel zu sehen, das sich vor ihnen entlud, und kreuzten längs der turbulenten Küste, auf der Suche nach einem Einschnitt

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