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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sehen. Er gewann den Eindruck, als hätte sich ein Teil des Himmels abgelöst und sich auf die Fläche des Wassers niedergesenkt und bewegte sich nun dort auf höchst komplizierte Weise, als ballte sich dieses Etwas in sich zusammen und noch einmal, bis es wie ein zerknautschter Papierbogen aussah, und dann wie ein Bündel von Stäben, und dann wie ein Gewirr von wütenden Schlangen, und dann wie Kolben, die von einer unsichtbaren Maschinerie bewegt werden. Über dem Horizont war in ganzer Breite ein zuckendes in sich verschlungenes Netzgeflecht von unerahnbarer Beschaffenheit aufgetaucht. Die Augen schmerzten ihn vom Hinschauen.
    Felk kam zu ihm.
    »Na, siehst du es jetzt? Ja?«
    Lawler merkte, daß er ziemlich lange den Atem angehalten hatte. Er stieß ihn langsam aus.
    Etwas wie eine Luftbrise, aber es war etwas anderes, wehte ihm ins Gesicht. Er wußte, es konnte kein Wind sein, denn diesen konnte er ebenfalls fühlen, und er wehte vom Heck her, und als er in die Masten schaute, sah er, daß die Segel sich nach vorn bauschten. Also keine Brise. Eine - Ausstrahlung. Eine Kraft. Strahlung. Auf ihn gerichtet. Er spürte es sacht durch die Luft knistern, fühlte, wie es ihm gegen die Wangen schlug wie feine Eiskristalle in einem Wintersturm. Er stand bewegungslos da, von Furcht und Ehrfurcht wie gelähmt.
    »Siehst du?« fragte Felk noch einmal.
    »Ja. Ja, jetzt sehe ich es.« Er wandte sich dem Kartographen zu. In dem seltsamen Licht, das von Westen her über sie hereinströmte, sah Felks Gesicht aus wie eine gemalte Trollmaske. »Trotzdem weckst du wohl lieber die Leute von deiner Deckswache. Ich gehe runter und wecke Delagard. Wie immer man es ansieht, er hat uns schließlich bis hierher gebracht. Und wie auch immer, er hat es nicht verdient, den Augenblick unserer Ankunft zu verpassen.«

7
    IN DER ERSTEN DÄMMERUNG bildete Lawler sich ein, daß die vor ihnen liegende See rasch dahinschwinde, als ob sie zurückweiche, wie weggeschält, so daß zwischen Himmel und dem Schiff und dem ANTLITZ eine bestürzend kahle Sandwüste blieb. Doch als er blinzelnd wieder hinschaute, sah er die blitzende See, so wie sie immer gewesen war.
    Wenig später zog dann die Dämmerung herauf und brachte fremdartige neue akustische und visuelle Eindrücke: die sichtbaren Brecher der Brandung, das helle Klatschen der kleinen Wellen am Bug, einen Gischtstreifen in der Ferne. In diesem frühen grauen Licht war es Lawler unmöglich, weitere Einzelheiten auszumachen. Gewiß, vor ihnen lag Land, und gar nicht so weit entfernt, aber er konnte es nicht sehen. Alles hier war so vage und unbestimmt. Die Luft schien erfüllt von dichtem Dunst, den wohl auch nicht die weiter heraufsteigende Sonne wegbrennen würde. Aber dann erkannte Lawler auf einmal die gewaltige dunkle Barriere, die sich über den Horizont breitete - ein niederer Buckel, der beinahe die Küstenkontur einer Gillie-Insel hätte sein können, nur, daß es eben auf Hydros keine Gillie-Inseln von derartigen Ausmaßen gab. Die Fläche erstreckte sich vor ihnen von einem Horizont bis zum anderen, ein Wall gegen die See, ein Bollwerk, und die See donnerte und schäumte in der Ferne dagegen, konnte es aber mit ihrer Gewalt nicht überwältigen.
    Delagard kam an Deck. Er stand von Beben geschüttelt auf der Brücke, das Gesicht vorgestreckt, die Hände in unheimlicher Anspannung an das Geländer geklammert.
    »Da ist es!« brüllte er. »Und habt ihr mir geglaubt? Dir? Da ist es doch, das ANTLITZ, das Feste Land! Endlich! So seht doch! Schaut es euch an!«
    Es war unmöglich, in diesem Augenblick nicht von einem Gefühl der Erschütterung und Ehrfurcht ergriffen zu werden. Selbst die dumpfsten und schlichtesten Gemüter unter ihnen - etwa Neyana, oder Pilya, oder Gharkid - wirkten berührt von der gewaltigen sich nähernden Masse und Fremdartigkeit des Landes da vor ihnen, gestreift von der unerklärlichen psychischen Kraftausstrahlung, die von dem ANTLITZ ausging. Alle elf standen sie Seite an Seite auf Deck, keiner kümmerte sich um das Ruder oder die Segel, alle starrten in benommenem Schweigen nach vorn, während das Schiff auf die Insel zutrieb, als werde es von einer mächtigen magnetischen Kraft angezogen.
    Einzig Kinverson machte den Eindruck der, wenn schon nicht Ungerührtheit, so doch der Unerschütterlichkeit. Er war aus seiner Trance erwacht, und nun starrte auch er fest auf die sich nahende Küstenlinie. Über das zerfurchte Gesicht glitt der Ausdruck irgendwelcher

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