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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Hydros hatte fast keinen Kontakt zu dem weiten Universum jenseits des Firmaments, und es gab weder Ex- noch Importhandel. Sie mußten schon glücklich sein, daß sie überhaupt so etwas wie medizinisches Hilfsgerät hatten. Und ein paar Ärzte, selbst so halbgebackene, wie er einer war. Die Humankolonie litt an ererbter Armut. Sie hatte so wenig Menschenmaterial mit einer so beschränkten Reserve an beruflichen Fähigkeiten.
    Mit entblößtem Oberkörper stand die Frau bei der Auskultationsbank und sah zu, wie er sich die Stethoskophalterung um den Hals legte. Sie war sehr schlank, ja beinahe schon zu mager; die Arme lang, muskulös in der Art, wie die Arme einer mageren Frau muskulös sind, mit harten, kleinen flachen Muskelpaketen; die Brüste klein, hochgelagert und weit auseinanderstehend. Die Physiognomie in der Mitte des breiten, starkknochigen Gesichtes zusammengedrängt: kleiner Mund mit dünnen Lippen, schmale Nase, kühle graue Augen. Lawler fragte sich, wie er auf den Gedanken hatte kommen können, sie sei attraktiv. An ihr war überhaupt nichts im herkömmlichen Sinn als hübsch zu bezeichnen. Es liegt an ihrer Haltung, entschied er: der Kopf auf dem langen Hals etwas vorgereckt, das kräftige Kinn vorgeschoben, die Augen rasch, wach, in ständiger Bewegung. Sie wirkte kräftig, ja beinahe aggressiv. Zu seiner Verblüffung merkte er, daß sie ihn sexuell erregte, aber nicht, weil sie halb nackt vor ihm stand - Nacktheit, teilweise oder völlige, war auf der Insel Sorve weiter nichts Außergewöhnliches -, sondern wegen der starken Vitalität, die sie ausstrahlte.
    Es war schon lange her, daß er etwas mit irgendeiner Frau zu schaffen gehabt hatte. In der jetzigen Zeit war es die bei weitem vorzuziehende, leichtere Losung, zölibatär zu leben, frei von Plage und Plunder, sobald du erst einmal die anfänglichen Gefühle der Vereinsamung und Ödnis überwunden hattest, wenn es möglich war, und ihm war das schließlich gelungen. Außerdem war er in seinen Bindungen nie besonders vom Glück begünstigt gewesen. Seine einzige Ehe, als er gerade dreiundzwanzig war, hatte weniger als ein Jahr gehalten. Alle späteren Beziehungen waren beiläufig, zufällig, fragmentarisch geblieben. Kurz: nicht die Mühe wert.
    Das kurze Aufflammen endokriner Erregung erlosch rasch. Einen Moment später war er wieder ganz Arzt: Dr. Lawler bei einer Untersuchung.
    »Jetzt bitte den Mund weit, ganz weit öffnen.«
    »Da gibt es nicht sehr viel zu öffnen.«
    »Na, mach es eben, so gut es geht.«
    Sie sperrte den Mund auf. Er hatte einen kleinen Tubus mit einem Licht an der Spitze, ein von seinem Vater ererbtes Utensil; die Minibatterie mußte alle paar Tage neu aufgeladen werden. Er schob es der Frau in den Rachen und spähte hindurch.
    »Also, stecke ich voller roter Drähte?« fragte sie, nachdem er die Sonde zurückgezogen hatte.
    »Sieht nicht danach aus. Ich kann weiter nichts erkennen als eine leichte Rötung im Epiglottisbereich, weiter gar nicht ungewöhnlich.«
    »Was ist das, die Epiglottis?«
    »Der Lappen, der deine Glottis schützt. Mach dir da mal keine Gedanken.«
    Er drückte ihr das Stethoskop ans Brustbein und horchte.
    »Kannst du die Drähte da drin wachsen hören?«
    »Schscht!«
    Langsam schob Lawler das Stethoskop über den flachen harten Bereich zwischen den Brüsten, um die Herztöne abzuhören, dann tastete er weiter über den Brustkorb entlang.
    »Ich versuche jetzt, hörbare Anzeichen für eine Entzündung im Perikardium zu entdecken«, sagte er zu seiner Patientin. »Das ist der Beutel um dein Herz. Und ich horche auch auf die Geräusche, die durch die Luft in den Röhrchen und Kavernen deiner Lungen entstehen. Atme jetzt mal tief ein und halt die Luft an. Versuche, nicht zu husten.«
    Aber sofort und keineswegs überraschend begann sie zu krächzen. Lawler drückte das Stethoskop weiter gegen ihren Körper, obwohl das Gehuste nicht aufhören wollte. Jede Information war nützliche Information. Schließlich legte sich der Hustenanfall, und die Patientin war erneut hochrot im Gesicht und wirkte erschöpft.
    »Tut mir leid«, keuchte sie. »Als du gesagt hast, ich soll nicht husten, war das wie eine Art Signal an meinen Kopf, und ich mußte einfach...«
    Ein erneuter Husten kam über sie.
    »Nur ruhig«, sagte er, »ganz ruhig.«
    Diesmal dauerte der Anfall nicht so lange. Er horchte sie dabei ab, nickte, lauschte weiter. Alles hörte sich normal an.
    Aber er hatte noch nie einen Fall von Killer-Fungus

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