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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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lächelte. Seine bleichblauen und meist noch gleichgültig und sogar verschleiert wirkenden Augen waren auf einmal irgendwie ungewöhnlich durchdringend geworden. »Dazu gehört nicht grad viel höhere Erkenntnis. Hör zu, Lawler, wenn du irgendwann über irgendwas, was immer es auch ist, mit mir sprechen möchtest... Was immer, wann immer dir was die Brust bedrückt...«
    Lawler grinste und wies auf seine Brust, die nackend war. »Wie du deutlich selber sehen kannst, ist da nichts, oder?«
    »Du weißt sehr genau, was ich meine«, erwiderte Quillan.
    Einen flüchtigen Moment lang schien es, als finde zwischen ihnen eine Art intensiver Kommunikation statt, als fließe knisternd eine Stromspannung, die eine Intimität erstrebte, die Lawler weder wollte noch als angenehm empfand. Dann lächelte der Priester wieder freundlich-milde - zu freundlich, zu milde -, es war ein betont ausdrucksloses, unbestimmtes Lächeln - fast eine Grimasse der Güte -, das offensichtlich darauf abzielte, den Abstand zwischen ihnen wiederherzustellen. Der Priester hob die Hand. Die Geste konnte eine Segnung bedeuten, oder auch die Erlaubnis, sich zu entfernen. Dann neigte er den Kopf, machte kehrt und ging davon.

3
    ALS ER SEINEM VAARGH näher kam, sah Lawler dort eine Frau mit langem, glattem dunklen Haar stehen, die dort auf ihn wartete. Eine Patientin vermutlich. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, und er erkannte sie nicht. Mindestens vier Frauen auf Sorve hatten solches Haar.
    In dem Teil, in dem Lawler wohnte, gab es dreißig Vaarghs, drunten, an der Inselspitze noch etwa sechzig weitere, die nicht alle bewohnt waren. Es waren graue unregelmäßige und asymmetrische, doch ungefähr pyramidenartige Konstrukte; im Innern hohl, zweimal so hoch wie ein großer Mann, oben zu einer abgestumpften Spitze auslaufend. In Apexnähe waren sie von fensterähnlichen Öffnungen durchbrochen, die nach außen vorgestülpt waren, so daß der Regen nur bei allerheftigsten Stürmen, und auch dann nicht leicht, ins Innere gelangen konnte. Sie waren aus einem dicken, groben Zellulose-Material - einem Meeresprodukt, was sonst hätte es auch sein sollen? - offenbar vor sehr langer Zeit gebaut worden. Das Material war bemerkenswert fest und dauerhaft. Wenn man mit einem Stecken gegen ein Vaargh hämmerte, klang das wie eine metallene Glocke. Die ersten Humansiedler hatten die Vaarghs bei ihrer Ankunft bereits vorgefunden und sie als vorläufige ‚Unterkünfte’ in Benutzung genommen; aber das lag über hundert Jahre zurück, und die Insulaner hausten noch immer darin. Kein Mensch hatte eine Ahnung, wieso die Bauten hier standen. Vaargh-Ansammlungen fand man auf nahezu allen Inseln: vielleicht die verlassenen Nester einer ausgestorbenen Spezies, die einst zusammen mit den Gillies die Inseln bewohnten. Aber diese lebten in völlig andersartigen Behausungen: in flüchtig errichteten Unterschlüpfen aus Seetang, die alle paar Wochen beseitigt und neu errichtet wurden, während diese Vaarghs so ziemlich das Stabilste und Unzerstörbarste waren, das es auf dieser Wasserwelt gab. »Was sind das für Dinger?« hatten die Erstsiedler gefragt, und die Gillies hatten einfach gesagt: »Es sind vaarghs.« Was das aber bedeutete, blieb der Phantasie jedes einzelnen Menschen überlassen. Schließlich war ja die Kommunikation mit den Kiemlingen bis heute immer noch eine reine Glückssache.
    Im Näherkommen erkannte Lawler, daß die wartende Frau Sundira Thane war - wie dieser Priester ein Neuzugang auf Sorve. Eine hochgewachsene, ernst wirkende junge Frau, die vor ein paar Monaten auf einem von Delagards Schiffen als Passagier von Kentrup Island angekommen war. Sie übte den Beruf einer Wartungs- und Reparatur-Spezialistin aus - Boote, Netze, Schiffsausrüstung und dergleichen -, doch ihr wirkliches Interessengebiet schienen die Hydraner zu sein. Lawler hatte sagen hören, daß sie eine Expertin für deren Kultur, Biologie und alle anderen Lebensbereiche sei.
    »Bin ich zu früh dran?« fragte sie.
    »Wenn du nicht selber denkst, es ist zu früh, dann nicht. Komm rein.« Der Zugang zu Lawlers Vaargh war ein niedriger dreieckiger Einschnitt in der Wand, eine Art Durchschlupf für Zwerge. Lawler kauerte sich zusammen und schob sich durch die Öffnung, und die Frau kam ihm hinterhergekrochen. Sie war beinahe so lang wie er selber, und sie wirkte irgendwie verkrampft, geistesabwesend, bedrückt.
    Fahles Frühlicht fiel schräg in den Vaargh. Auf der Grundfläche teilten schmale

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