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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gewiß.«
    Kinverson will ja bloß, daß sie ihm das Segel flickt, beruhigte Lawler sich selber.
    Na sicher, was sonst.
    WIEDER HATTE ER EINEN seiner ERDEN-Träume. Eigentlich waren es zwei, der eine sehr schmerzlich, der andere war nicht so übel. Lawler wurde mindestens einmal im Monat von einem heimgesucht, manchmal auch von beiden.
    Diesmal war es der gemütlichere Traum, und er wanderte tatsächlich eigenfüßig und auf festem Boden über die ERDE. Er trug keine Schuhe, und es hatte vor kurzem geregnet, und der Boden war weich und warm, und wenn er die Zehen spreizte und sie in die Erde grub, sah er den feuchten Boden wie Ranken zwischen ihnen heraufsprießen, ähnlich wie es beim Sand war, wenn er im seichten Teil der Bucht umherstakte. Der Boden der ERDE aber war ein dunkleres Material als Sand und viel schwerer. Und er gab unter dem Tritt in sehr unvertrauter Weise nach, nur ganz wenig.
    Er ging durch einen Wald. Überall um ihn herum waren Bäume, Gewächse wie Holzkelp-Pflanzen mit langen Stämmen und dichten Laubkronen weit droben, aber viel, viel massiver als irgendein Holzkelp, den er je gesehen hatte, und das Laub stand so weit über ihm, daß er die Gestalt der Blätter nicht erkennen konnte. In den Wipfeln flatterten Vögel umher. Sie produzierten seltsame melodische Laute, eine Musik, die er nie zuvor gehört hatte und an die er sich nach dem Erwachen nie erinnern konnte. Allerart fremdartiger Geschöpfe strichen durch den Wald, manche gingen auf zwei Beinen wie ein Mensch, manche krochen auf ihren Bäuchen dahin, und manche standen auf sechs oder acht kleinen Stelzen. Er nickte ihnen im Vorübergehen grüßend zu, und sie erwiderten seinen Gruß, diese irdischen Geschöpfe.
    Dann kam er an einen Ort, wo der Wald sich auftat, und er sah vor sich einen Berg aufragen. Er sah aus wie aus dunklem Glas mit Einsprengseln von spiegelhellen Unebenheiten, und in dem warmen goldenen Sonnenlicht war sein Strahlen wunderbar. Er füllte das halbe Firmament aus. Und Bäume wuchsen darauf. Sie wirkten so klein, daß er einen mit der Hand hätte umfassen können, doch er wußte, daß dies nur deshalb so wirkte, weil der Berg so weit von ihm entfernt war, und daß diese Bäume in Wirklichkeit mindestens so hoch waren wie jene in dem Wald, aus dem er gerade gekommen war, vielleicht sogar größer.
    Er umwanderte irgendwie den Fuß des Berges. Auf dessen anderer Seite befand sich ein langer, abfallender Einschnitt, ein Tal, und jenseits dieses Tales sah er etwas Dunkles sich breiten, und er wußte, das war eine Stadt; eine Stadt voller Menschen, mehr Menschen, als er sich ohne Mühe vorzustellen vermochte. Er schritt darauf zu, er gedachte sich unter diese irdischen Menschen zu begeben und ihnen zu erklären, wer er sei und von woher er gekommen war, und er wollte sie nach ihrem Leben fragen, und ob sie seinen Ur-Urgroßvater kannten, Harry Lawler, oder vielleicht seinen Vater oder Großvater.
    Doch so eifrig er auch gehen mochte, er rückte der Stadt nicht näher. Sie blieb unentwegt drüben am Horizont, dort unten am Ende des Tales. Stundenlang ging er, tagelang, er ging wochenlang... und stets blieb die Stadt unerreichbar, entzog sich ihm beharrlich, und wenn er dann schließlich erwachte, war er erschöpft und verkrampft wie von einer gewaltigen körperlichen Anstrengung und war müde, als hätte er überhaupt keinen Schlaf gefunden.
    AM MORGEN KAM Jose Yanez, sein junger Schüler, wie gewohnt zum Unterricht in den Vaargh. Auf der Insel herrschte ein straffes Ausbildungssystem; man durfte nicht zulassen, daß irgendein Handwerk, irgendeine Kunst ausstarb. Seit den Anfängen der Niederlassung war dies nun das erste Mal, daß der Doktorslehrling kein Lawler war. Aber die Lawler-Tradition würde mit ihm enden, und wenn er einmal nicht mehr war, würde eine andere Familie die Verantwortung übernehmen müssen.
    »Werden wir die ganze medizinische Ausrüstung mitnehmen können, wenn wir fortgehen?« fragte Jose.
    »Soweit Platz an Bord ist«, beschied ihn Lawler. »Die Instrumente, die meisten Drogen, das Buch der Rezepturen.«
    »Die Patientenkartei?«
    »Falls genug Platz ist. Ich weiß nicht.«
    Jose war siebzehn, ein großer schlaksiger Bursche. Sanftmütig, eine Seele von Mensch mit einem offenen, stets zu einem Lächeln bereiten Gesicht, und geschickt im Umgang mit den Patienten. Er schien begabt für die Doktorei. Er genoß die langen Stunden des Lernens, wie Lawler selbst, als Junge eher aufsässig und mit

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