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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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überhaupt finden können, da draußen irgendwo in der Weite zwischen dem Heimatmeer und der Roten See? Ach, zum Teufel, sollte Delagard sich damit rumschlagen. Wozu sollte er sich plagen? Er hatte darauf sowieso keinen Einfluß.
    GHARKIDS STIMME, schwach, piepsig, heiser, drang zu Lawler, als er langsam zu seinem Vaargh zurückging.
    »Doktor? Herr Doktor?«
    Er war schwer beladen und taumelte unter dem Gewicht zweier riesiger tropfender Körbe mit Algen, die er an einem Schulterjoch schleppte. Lawler blieb stehen und wartete auf ihn. Gharkid kam herangewankt, dann ließ er Lawler die Körbe praktisch vor die Füße plumpsen.
    Gharkid war ein kleiner drahtiger Kerl, so viel kürzer als Lawler, daß er den Kopf zurücklegen mußte, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Er lächelte mit blitzenden weißen Zähnen aus dem dunklen Gesicht. Der Mann hatte was Ernsthaftes und zugleich Gefälliges an sich. Doch die kindliche Einfalt, die fröhliche ländliche Arglosigkeit, die er zur Schau stellte, konnten gelegentlich ein wenig lästig werden.
    »Was soll denn das alles?« Lawler besah sich das Pflanzengewirr, das aus den Körben quoll, grüne und rote Tangsträhnen, gelbe mit grellen Purpuradern.
    »Für dich, Herr Doktor. Medizin. Wenn wir fortgehen. Zum Mitnehmen.« Gharkid grinste breit. Er schien sehr zufrieden mit sich selber zu sein.
    Lawler kniete nieder und stocherte in dem matschigen Gewirr herum. Einige der Wasserpflanzen konnte er identifizieren. Die bläuliche da war schmerzlindernd; die mit den dunklen bandartigen, seitlich abführenden Blättern lieferte das brauchbarere der zwei verfügbaren Antiseptika, und diese da - ja, tatsächlich, das war Taubkraut. Ohne Zweifel, Taubkraut. Der gute alte Gharkid. Lawler blickte auf, und während sich ihre Augen begegneten, blitzte da in Gharkids dunklem Blick etwas auf, das ganz und gar nicht naiv und kindhaft war.
    »Um’s mit aufs Schiff zu nehmen«, sagte er, wie wenn Lawler es vorhin nicht begriffen hätte. »Das sind die guten Pflanzen, die für die Medizin. Ich hab mir gedacht, du wirst sie brauchen, einen Extravorrat.«
    »Das hast du sehr gut gemacht«, sagte Lawler. »Komm, ich helf dir das rauf zum Vaargh zu tragen.«
    Es war eine reiche Ausbeute. Der Mann hatte von allem, das irgendwie medizinisch brauchbar war, etwas gesammelt. Lawler selbst hatte die Sache immer und immer wieder aufgeschoben, und schließlich war Gharkid einfach raus in die Bucht gefahren und hatte den ganzen Arzneibestand aufgestockt. Wahrhaftig, eine gute Arbeit, dachte Lawler. Ganz besonders das Taubkraut. Ihm blieb gerade noch ausreichend Zeit, das alles zu destillieren und fertigzustellen, ehe sie lossegeln mußten, die Pülverchen, Salben, Öle und Tinkturen zu bereiten. Und dann war seine Schiffsapotheke für den langen Trip nach Grayvard recht gut bestückt. Der kannte sich wirklich mit seinen Algen aus, der alte Gharkid. Und wieder einmal fragte sich Lawler, ob der Mann wirklich so einfältig war, wie es den Anschein hatte, oder ob das nur Tarnung war. Gharkid erweckte oft den Eindruck, als sei er eine leere Seele, eine tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt, auf das jeder kritzeln konnte, was er wollte. Doch es mußte mehr in ihm stecken, irgendwo tief drinnen. Aber was?
    DIE LETZTEN TAGE vor der Abreise waren schlimm. Zwar räumten alle die unabdingbare Notwendigkeit des Aufbruchs ein, aber nicht jeder hatte geglaubt, daß es wirklich soweit kommen werde, und nun brach diese Wirklichkeit mit schrecklicher Gewalt über sie herein. Lawler sah alte Frauen vor ihren Vaarghs ihre Habseligkeiten in Bündeln aufhäufen, und dann starrten sie ihren Besitz mit stumpfem Blick an, packten um, schleppten das Bündel zurück ins Haus und brachten andere Dinge heraus. Manche der Frauen und auch einige der Männer weinten unablässig, manche stumm, andere nicht so lautlos. Die ganze Nacht hindurch konnte man das hektische nervöse Schluchzen hören. In den schlimmsten Fällen verabreichte Lawler Taubkraut. »Nur ruhig, ganz ruhig«, sagte er immer wieder. »Still, still!« Thom Lyonides war drei Tage lang ohne Unterbrechung besoffen, grölte herum und fing dann mit Bamber Cadrell eine Prügelei an und erklärte, keiner werde ihn dazu bringen, die Planken von so einem Schiff zu betreten. Delagard und Gospo Struvin kamen vorbei und fragten, was, zum Teufel, der Krach solle, und Lyonides sprang Delagard an, hatte Schaum vor dem Mund und kreischte wie ein Irrer. Delagard versetzte ihm einen

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