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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Deutschland. Diese Tragödie erinnert an das Gefühl, das uns beim Anblick griechischer Statuen ergreift; die Handlung ist so ehrwürdig, so ruhig, daß selbst bei veränderter Lage der Personen, eine Beständigkeit der Würde in ihnen zurückbleibt, die jeden Augenblick dauerhaft ins Andenken gräbt.
    Der Inhalt der Iphigenia in Tauris war so bekannt, daß es unendlich schwer seyn mußte, ihn auf eine neue Art zu behandeln; Göthen ist es vornehmlich dadurch gelungen, daß er seiner Heldin einen wahrhaft bewundernswürdigen Charakter gegeben. Die Antigone des Sophocles ist eine Heilige, wie sie uns eine neuere Religion als die der Alten aufstellen würde. Goethens Iphigenia hat nicht weniger Ehrfurcht für die Wahrheit als Antigone; sie vereinigt aber die Ruhe des philosophischen Geistes mit der Inbrunst einer Priesterin; der keusche Dienst der Diana und die geweihte Schutzwehr eines Tempels füllen die träumende Existenz aus, die ihr die Sehnsucht nach ihrem fernen Vaterlande übrig läßt. Sie will die Sitten des wilden Landes, das sie aufnahm, milder machen; und obschon ihr Name unbekannt ist, streut sie Wohlthaten um sich aus, wie es sich für die Tochter des Königs der Könige ziemt. Gleichwohl wird sie es nicht müde, sich nach den schönen Gegenden zurück zu sehnen, wo sie ihre Kindheit durchlebte, und ihr Gemüth ist der Sitz einer zugleich sanften und starken Ergebung, die, so zu sagen, zwischen dem Christenthum und dem Stoicismus in der Mitte steht. Iphigenia gleicht einigermaßen der Göttin, deren Priesterin sie ist; die Einbildungskraft glaubt sie von einer Wolke umhüllt zu sehen, die ihr den Anblick ihres Vaterlandes raubt. Konnte wohl die Verbannung, und, was noch mehr ist, die Verbannung aus Griechenland, ihr sonst einen Genuß übrig lassen, als den sie in sich selbst fand? Auch Ovid, gezwungen wie sie, ohnweit Tauris sein Leben zu verhauchen, richtete umsonst seine harmonische Rede an die rauhen Einwohner dieser freudenlosen Gegenden; umsonst suchte er die Künste auf, umsonst einen schönen Himmel, und jene Sympathie der Gedanken, die uns, selbst mit Unbekannten, einen Theil der Seligkeit empfinden läßt, die die Freundschaft gewährt. Sein Genie, von allen zurückgestoßen, kehrte immer in sich heim, und seine aufgehauene Leier athmete nur Klagetöne, im traurigen Einklang mit dem Nordwind.
    Kein neueres Werk schildert, dünkt mich besser, als Göthe's Iphigenia, das Schicksal, welches auf Tantalus Geschlecht lastet, und die Würde aller, dieses Geschlecht verfolgenden, und von einem unüberwindlichen Fatum herbeigeführten Leiden. Eine religiöse Furcht faßt den Zeugen bei dieser ganzen Geschichte, und die Personen selbst, die in demselben auftreten, scheinen eine prophetische Sprache zu führen, und nur von der allmächtigen Hand der Götter geleitet, zu handeln.
    Göthe hat Thoas zum Wohlthäter Iphigeniens gemacht. Ein wilder König, wie viele Schriftsteller ihn schildern, würde nicht zur Farbe des übrigen Stücks gepaßt, würde die Harmonie des Ganzen gestört haben. In den meisten Tragödien, wird ein Tyrann wie ein Hebel aufgestellt, der das ganze Werk in Bewegung setzt; ein Denker wie Göthe, würde nie eine Person haben aufführen können, ohne zugleich seinen Charakter zu entwickeln. Nun aber ist ein bösartiges Gemüth ein so zusammengesetztes Wesen, daß es in einem einfachen Stoff, wie Iphigenia, nicht Platz finden konnte. Thoas liebt Iphigenien; er kann sich nicht entschließen, sie mit ihrem Bruder Orest nach Griechenland ziehen zu lassen. Iphigenia hätte heimlich abreisen können; sie prüft mit ihrem Bruder und mit sich selbst, ob sie sich diesen Betrug erlauben darf, und hierin liegt der Knoten der zweiten Hälfte des Stücks. Endlich gesteht sie Thoas die Wahrheit, bekämpft seinen Widerstand, besiegt ihn in so weit, daß sie von ihm das Wort Lebtwohl! erhält, worauf der Vorhang fällt.
    Der Plan dieses Stücks kann nicht gediegener und edler seyn, und es wäre zu wünschen, daß man es so weit brächte, die Zuschauer bloß durch die Darstellung einer zarten Bedenklichkeit zu rühren; allein, von der Bühne läßt sich dieses schwerlich erwarten, und daher kommt es, daß man das Stück lieber lieset als aufführen sieht. In dieser Tragödie ist die Bewunderung, nicht der Affect die Triebfeder; man glaubt einen Gesang aus einem epischen Gedichte zu hören; die Ruhe, die im Ganzen vorwaltet, ist so ansteckend, daß sie beinahe auf Orestes Gemüth wirkt. Die

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