Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
Vom Netzwerk:
einem natürlichen, aber anziehenden, Gespräch erzählen sie sich die Haupthandlungen seines Lebens, und geben in ihren Ausdrücken und Wendungen das hohe Vertrauen zu erkennen, das sie in ihn setzen. So ohngefähr leitet Shakespear seinen Julius Cäsar ein, so ist Wallensteins Lager geschrieben. In Frankreich würden wir diese Vermischung der Volkssprache mit der tragischen Würde nicht dulden; aber eben dieses überzarte Gefühl giebt unsern Tragödien der zweiten Gattung so viel Eintönigkeit und Schlaffheit. Der Gelegenheit zu Prunkreden und der heroischen Lagen sind nothwendiger Weise nur wenige; überdieß dringt die Rührung selten bis ins innerste Gemüth, wenn durch einfache aber wahre Details, die den geringsten Umständen Leben gewähren, die Einbildungskraft nicht vorher rege gemacht und gefesselt worden ist.
    Clärchen erscheint als ein Bürgermädchen der letzten Classe; ihre Mutter ist ein ganz gemeines Weib; ihr bestimmter Liebhaber, ein Vetter, der sie leidenschaftlich liebt; aber man sieht mit einer Art von Widerwillen, daß es Egmont mit einem Nebenbuhler vom Volke zu thun hat. Alles, was Clärchen umgiebt, dient freilich nur zur Folie ihres reinen Gemüths, gleichwohl würde man in Frankreich auf der Bühne den Grundsatz der Malerei nicht gelten lassen: der Schatten müße das Licht heben. Im Gemälde sieht man beide zugleich, daher empfängt man auch zugleich den Eindruck beider: nicht so im Schauspiel, wo die Handlung fortläuft; hier wird die empörende Scene nicht geduldet, weil sie auf die folgende einen günstigen Strahl werfen soll; man will, daß der Gegensatz zwar in verschiedenartigen Schönheiten, aber doch immer in Schönheiten bestehe.
    Das Ende des Trauerspiels Egmont steht mit dem Ganzen nicht in Harmonie; der Graf schläft einige Augenblicke vor seiner Abführung zum Schafott ein. Clärchen erscheint ihm nach ihrem Tode im Traume, verklärt, umgeben von himmlischem Glanze, und deutet ihm an, sein Tod werde den Provinzen die Freiheit verschaffen: doch dieses Wunderbare in der Entwickelung paßt nicht zu einem historischen Stücke. Die Deutschen sind überhaupt verlegen, wann und wie sie schließen sollen; man könnte das chinesische Sprichwort auf sie anwenden: «Wenn man zehn Schritte zu machen hat, so sind neun die Hälfte des Weges.» Die erforderliche Geisteskraft, es sey, was es wolle zu Ende zu bringen, erfordert eine gewisse Gewandtheit, ein gewisses Augenmaaß, die sich nur selten mit der schwankenden und unbestimmten Einbildungskraft vertragen, deren Spuren die deutschen Werke allgemein tragen. Ueberdieß bedarf es der Kunst, und sehr vieler Kunst, eine gute Entwickelung aufzufinden; denn es giebt ihrer selten im Leben; die Handlungen ketten sich an einander, und ihre Folgen verlieren sich in die Zeitenreihe. Die Kenntnis der Bühne allein lehrt, wie man die Gränzen der Hauptbegebenheit abstecken, und die Nebenumstände zu einem Zweck mitwirken lassen soll. Allein Wirkungen künstlich zusammenstellen, ist beinahe in den Augen der Deutschen eine Heuchelei, und die Berechnung in Sachen der Phantasie scheint ihnen unvereinbar mit der Begeisterung.
    Gleichwohl wäre Göthe unter allen ihren Schriftstellern gerade der, welchem die meisten Mittel zu Gebote stehen würden, die Gewandtheit des Geistes mit dem kühnen Fluge desselben zu vereinigen; aber Göthe hält es unter seiner Würde, die dramatischen Lagen so zu handhaben, daß er sie zu theatralischen mache. Wenn sie nur schön sind, so genügt ihm dies, und er kümmert sich nicht weiter um das Andre. Das deutsche Publikum in Weimar ist sein Zuschauer, und dieses Publikum ist zufrieden, wenn es ihm nur entgegensehen, ihn errathen kann; es ist eben so geduldig, eben so einsichtsvoll als der griechische Chor; anstatt es, wie gewöhnlich die Souveraine zu machen, sie mögen Fürst oder Volk seyn, – anstatt zu verlangen, daß man es belustige, trägt es selbst zu seinem Vergnügen dadurch bei, daß es erklärt und zergliedert, was ihm nicht gleich auffiel: ein solches Publikum ist in seinen Urtheilen selbst Künstler.
    ————————

Zwei und zwanzigstes Capitel. Iphigenia in Tauris. Torquato Tasso.
    Man gab in Deutschland bürgerliche Dramen, Melodramen, eigentliche Schauspiele, d. i. Spectakelstücke mit Pferden und Ritteraufzügen. Göthe nahm sich vor, die Literatur seiner Landsleute auf die Strenge des Alterthums zurückzuführen, und schrieb seine Iphigenia in Tauris, das Meisterwerk der klassischen Poesie in

Weitere Kostenlose Bücher