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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Tasso's Geschichte. Rousseau hat sich mit einem großen Genie durch niedere Verhältnisse bewegen und schleppen müssen. Tasso hingegen, brav wie seine Ritter, verliebt, geliebt, verfolgt, gekrönt, und noch jung am Vorabend seines Triumphs dahinsterbend, Tasso ist ein Beispiel des größten Glanzes und des größten Mißgeschicks, das dem Genie zu Theil werden kann.
    Wie mich dünkt, sind die Farben des Süden in Torquato Tasso nicht ausgesprochen genug; vielleicht ist es schwer, mit deutschen Worten italienisch zu sprechen und italienische Gefühle auszudrücken. Gleichwohl sind es noch mehr die Charaktere, worin sich die deutsche Natur mehr als die italienische entwickelt, Leonore von Este ist hier eine deutsche Fürstin. Die Entwickelung und Untersuchung ihres Charakters und ihrer Gefühle, womit sie sich unaufhörlich beschäftigt, ist nicht im Geiste des Süden. Im Süden zieht sich die Einbildungskraft nicht auf sich selbst zurück: sie schreitet beständig vor, ohne rückwärts zu schauen; sie forscht der Quelle eines Ereignisses nicht nach; sie widersteht dem Geschehenen oder überläßt sich ihm, ohne den Grund davon aufzusuchen.
    Die Person des Tasso ist ebenfalls die Person eines deutschen Dichters. Jene Unmöglichkeit, die ihm Göthe beigelegt hat, sich in den gewöhnlichsten Umständen des gemeinen Lebens aus dem Handel zu ziehen, ist ein Charakterzug der Schriftsteller des Nordens, und ihrer ein- und zurückgezogenen Lebensweise. Den südlichen Dichtern klebt diese Unbeholfenheit gewöhnlich nicht an; sie haben mehr außer dem Hause, und so zu sagen, auf öffentlichen Plätzen gelebt; sie sind mit den Sachen und noch mehr mit den Menschen vertrauter.
    Tasso's Sprache ist, bei Göthe, oft zu metaphysisch. Seine Schwermuth hatte keinesweges im Mißbrauch philosophischer Betrachtungen, oder im tiefen Nachforschen über das, was in seinem Herzen vorging, ihren Sitz; sie war nur eine Folge des zu lebhaften Eindrucks der äußern Gegenstände, des Rausches der Liebe und des Eigendünkels; er bediente sich der Sprache bloß als eines harmonischen Gesanges. Das Geheimniß seines Gemüths lag nicht in seinen Reden, nicht in seinen Schriften; er hatte sich nie selbst beobachtet; wie hätte er sich Andern offenbaren können? Ueberdieß war die Poesie in seinen Augen eine glänzende Kunst, nicht ein leises Zulispeln der Empfindungen des Herzens. Es scheint mir aus seiner italienischen Natur, aus seinem Leben, aus seinen Briefen, aus den Gedichten selbst, die er während seiner Verhaftung schrieb, einleuchtend, daß die Heftigkeit seiner Leidenschaften, nicht der Tiefe seiner Gedanken, seiner Schwermuth zuzuschreiben sey. In seinem Charakter lag nicht, wie in dem der deutschen Dichter, jenes gewohnte Gemisch von Nachdenken und Thätigkeit, von Nachforschung und Enthusiasmus, wodurch die Existenz so stark angegriffen wird.
    Die Eleganz und Würde des poetischen Stylssind in Torquato Tasso über alles Lob erhaben; Göthe hat sich in diesem Stücke als Deutschlands Racine gezeigt. Hat man aber Racine den Mangel an Interesse in Berenice'n zum Vorwurf gemacht, so könnte man mit größerm Fug Göthe'n die dramatische Kälte seines Tasso vorwerfen. Die Absicht des Verfassers war, die Charaktere tief zu begründen, und die Lagen, worin er sie versetzt hat, nur leicht zu entwerfen; ist dieses aber möglich? Die langen sinnreichen Reden, voller Einbildungskraft, die er seine Personen abwechselnd halten läßt, sind sie aus der Natur geschöpft, und aus welcher? Wer spricht so über sich selbst und über alles? Wer erschöpft bis auf diesen Punkt, was sich sagen läßt, ohne daß sich etwas thun lasse? Sobald sich das Stück nur einigermaßen bewegt, wird einem ganz leicht; man erholt sich von der beständigen Spannung, mit welcher man die Ideen verfolgen mußte. Die Duellscene zwischen dem Dichter und dem Hofmann interessirt lebhaft; des einen Aufwallung, des andern kalte Gewandtheit entwickeln das Verhältniß beider mit großer Lebendigkeit. Von den Lesern oder Zuschauern verlangen, daß sie dem Interesse der Handlung entsagen, um sich bloß an die Gemälde und an die Ideen zu hängen, hieße zu viel fordern. Dann brauchte es nicht mehr der Namen, der Auftritte, der Eintheilung in Acte, eines Anfangs, einer Entwickelung, kurz dann braucht es nichts von dem, was eine Handlung zur Handlung macht. Die Anschauung kann nur im Stande der Ruhe gefallen; beim Gehen ist der langsame Gang immer der ermüdendste.
    Durch einen

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