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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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der aber zu stark ist, und die Schwache tödtet. Die strafbare Margarethe wird schwanger, ihre Schande wird offenbar; im Stadtviertel, wo sie wohnt, zeigt jeder mit dem Finger auf sie. Die Entehrung scheint für Personen von hohem Rang ein größeres Uebel zu seyn, und gleichwohl fürchtet sie, in der Regel, das Volk mehr als die Vornehmen. Für Menschen, die für nichts den Umweg und die feinen Wendungen der Worte haben, ist alles so schneidend, so durchfahrend, so unersetzlich. Göthe weiß diese Volkssitten, die uns so nahe und zugleich so weit von uns liegen, aufs bewundernswürdigste aufzufassen; er besitzt im höchsten Grade die seltne Kunst, in der Darstellung von tausend verschiedenartigen Naturen immer vollkommen natürlich zu seyn.
    Valentin, ein Soldat, Margarethens Bruder, kommt aus dem Kriege zurück, will seine Schwester besuchen, und erfährt ihre Schande. Den Schmerz, der ihn peinigt, die Schmach, die auf ihn zurückfällt und ihn schamroth macht, drückt er, zugleich rauh und rührend, in heftigen Reden aus.
    Der im Aeußern harte, im Innern weichherzige Mann, erregt immer ein unerwartetes stechendes Mitgefühl. Göthe malt mit unnachahmlicher Wahrheit den Muth, den ein Krieger dem moralischen Schmerz entgegenstellen kann, dem neuen innern Feinde, der zum erstenmale ihm gegenübersteht, und gegen den er das Schwert nicht ziehen darf. Endlich ergreift ihn das Bedürfniß der Rache, und wiegelt alle Gefühle, die ihn innerlich verzehren, zur äußern Handlung auf. Er begegnet Mephistopheles und Fausten im Augenblick, wo beide seiner Schwester ein Abendständchen bringen. Valentin fordert Fausten, sie schlagen sich; der Bruder wird tödtlich verwundet. Die Beiden machen sich aus dem Staube, um der Wuth des dazukommenden Volks zu entgehen.
    Margarethe eilt herbei, frägt nach dem, der blutend auf dem Boden liegt. Die Umstehenden antworten strafend: "deiner Mutter Sohn!" Ihr sterbender Bruder macht ihr die entsetzlichsten Vorwürfe, die, in einer Sprache ausgedrückt, vor welcher sich zarte Ohren verschließen, der Unglücklichen das Herz brechen. Die Würde der Tragödie verstattet nicht, die Dolche der Natur so tief einzubohren.
    Mephistopheles zwingt Faust, die Stadt zu verlassen; des Elenden Verzweiflung, als er von Margarethen scheidet, macht ihn wieder des Mitleids werth.
    Faust.
Was ist die Himmelsfreud' in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl' ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht? Der Unbehauste?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus'te
Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.
Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen
Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!
Sie, ihren Frieden mußt' ich untergraben!
Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,
Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
Und sie mit mir zu Grunde gehn!
    Wahrhaft teuflisch ist die Bitterkeit und Eiskälte, die in Mephistopheles Antwort liegt.
    Mephistopheles.
Wie's wieder siedet, wieder glüht!
Geh' ein und tröste sie, du Thor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.
Es lebe, wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts abgeschmackters find' ich auf der Welt,
Als einen Teufel, der verzweifelt.
    ————————
    Margarethe geht allein in die Kirche, ihren einzigen Zufluchtsort; eine unzählbare Menge füllt die Hallen an; es ist gerade das Todtenamt. Ihr Angesicht ist mit einem Schleier bedeckt; sie betet voll Inbrunst; aber im Augenblicke, da sie sich schmeichelt, Erbarmen im Himmel zu finden, raunt ihr der böse Geist halblaut in die Ohren:

    Böser Geist.
Wie anders Gretchen, war dirs
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar trat'st,
Aus dem vergriffenen Büchelchen
Gebete lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen!
Gretchen!
Wo steht dein Kopf?
In deinem Herzen,
Welche Missethat?
Bet'st du für deiner Mutter Seele? Die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief.
– Und unter deinem Herzen
Regt sich's nicht quillend schon,
Und ängstet dich und sich
Mit ahndungsvoller Gegenwart?
    Gretchen.
Weh! Weh!
Wär' ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!
    Chor.
Dies irae, dies illa
Solvet

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