Ueber Deutschland
tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
Dieser Augenblick der Entzückung, der Wiederkehr, ist nicht von langer Dauer. Faust hat einen wankelmüthigen Charakter; die weltlichen Leidenschaften siegen. Er sucht sie zu befriedigen, er wünscht sich ihnen hinzugeben; und der Teufel, unter Mephistopheles Gestalt und Namen, kommt zu ihm, verspricht, ihn in Besitz aller sinnlichen und irdischen Genüsse zu setzen. Zu gleicher Zeit aber erweckt er teuflisch in ihm Eckel und Widerwillen vor allen; denn die wahre Bosheit trocknet das Gemüth dergestalt aus, daß zuletzt eine eben so große Gleichgültigkeit gegen die Vergnügungen, als gegen die Tugenden entsteht.
Mephistopheles führt Faust zu einer Hexe, welcher Meerkatzen zu Gebote stehn. Man kann in gewisser Hinsicht diese Scene als eine Parodie der Hexen im Macbeth ansehen. Macbeths Hexen singen mystische Worte, deren seltsame Töne schon die Wirkung der Zauberei hervorbringen; die Hexen in Faust, sprechen ebenfalls ein Kauderwelsch, dessen Assonanzen künstlich in einander verwebt sind; die Worte und Redensarten, deren sie sich bedienen, regen durch Wahl, Bau und Anordnung, die Einbildungskraft zur Lustigkeit auf, und der Dialog dieses Auftritts, der in ungebundener Rede platt-lächerlich wäre, wird drollig, und durch die Poesie gehoben.
Indem man diesen Meerkatzen und ihren comischen Wendungen zuhört, glaubt man zu entdecken, was die Thiere für Ideen haben würden, wenn sie die Gabe hätten, sie in Worten auszudrücken, und was für ein grobes und lächerliches Bild sie sich von der Natur und dem Menschen entwerfen würden.
Es giebt in französischen Schauspielen beinahe kein Beispiel von Witz und munterer Laune, auf das Wunderbare, auf Zauberei, Hexen, Gespenster, Verwandlungen gegründet. Dieses heißt mit der Natur spielen, wie man in der Sittencomödie mit Menschen spielt. Um Gefallen an dieser Gattung von Comik zu finden, muß man sie nicht dem Urtheil der Vernunft unterwerfen; man muß das Vergnügen der Einbildungskraft als ein freies, zweckloses Spiel betrachten. Gleichwohl wird die Entwickelung dieses Spiels durch die gewonnene Zügellosigkeit nicht erleichtert; abgesteckte Gränzen sind oft sichere Stützpunkte; und wer sich, im Fach der Literatur, von gränzenlosen Erfindungen hinreißen läßt, kann nur vom Uebermaaß oder vom Strom seines Talents verdienstliche Resultate und Werke erwarten; mit dem Seltsamen und Bizarren Mittelmäßigkeit verbinden, hieße etwas unausstehlich-verwerfliches liefern.
Mephistopheles führt Faust in Gesellschaften junger Leute von allen Ständen ein, und bemeistert sich, auf mannigfache Weise, der verschiedenen Gemüther, die ihm aufstoßen. Er gewinnt sie nie durch Bewunderung, sondern durch Ueberraschung. Er fesselt sie beständig durch etwas unerwartetes und schnödes in Worten und Handlungen; gemeine Menschen pflegen den höhern Geist um so mehr zu achten, je weniger er sich aus ihnen macht; eine geheime Stimme sagt ihnen, daß wer sie verachtet, sie richtig beurtheile. Ein Leipziger Schüler, der eben das Vaterhaus verlassen hat, und einfältig ist, wie man es in den unschuldigen Gegenden Deutschlands in seinem Alter wohl seyn kann, kommt zu Faust, und frägt ihn wegen seiner Studien um Rath; Faust ersucht Mephistopheles, statt seiner zu antworten. Mephistopheles hängt den Doktormantel um, und während er allein ist, und den Schüler erwartet, läßt er seinen Hohn über Faust aus:
Den schlepp' ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis' und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt' er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
Er hat Recht. Ehrlichen Leuten, wenn sie von der natürlichen rechtschaffenen Bahn abgehen, wirft sich beständig eine gewisse Unbeholfenheit in den Weg; eine Folge ihres Gewissens, das sie nie ersticken können, und eine Quelle unbesiegbarer Reue: der durchaus vollendete Bösewicht hingegen verspottet jene Lehrlinge des Lasters, die nur den guten Willen haben, das Böse zu thun, ohne die Gabe zu besitzen, es zu vollenden.
Endlich erscheint der Schüler, und nichts ist lustiger und naiver als das linkische und zugleich zuversichtliche, von sich eingenommene Wesen des jungen Deutschen, der zum erstenmal in eine große Stadt tritt; zu allem aufgelegt, in allem unerfahren
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