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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Zuschauern gleich sehr anzieht und belustigt.
    Die neue ästhetische Schule in Deutschland hat über das Lustspiel, wie über alles, ihr eigenes System; sie läßt sich an dem Interesse nicht genügen, das die Sittenschilderung giebt; sie verlangt Einbildungskraft in der Anlage des Stücks, in der Erfindung der Personen; das Wunderbare, die Allegorie, die Geschichte, nichts darf unbenutzt bleiben, wenn es darauf ankommt, die komischen Situationen zu vermannichfaltigen. Die Gesetzgeber dieser Schule belegen mit dem Namen der willkürlichen Komik den freien Aufflug aller möglichen Gedanken, das Herumflattern derselben ohne Zwang und Zweck. Sie berufen sich dabei auf das Beispiel des Aristophanes; nicht daß sie der Ungebundenheit seiner Stücke ihren Beifall gäben, sondern weil sie an der komischen Ader, an der Satyrlaune derselben Gefallen finden, und ebenfalls unter den Neuern die kecke Geißel des Spotts schwingen möchten, die sich über die ganze Welt erstreckt, anstatt sich auf die Lächerlichkeiten dieser oder jener Classe der Gesellschaft zu beschränken. Ueberhaupt läuft das Streben der neuern Schule darauf hinaus, in jeder Gattung der Wirksamkeit dem Geiste mehr Kraft und Unabhängigkeit zu verschaffen; sollte es ihnen gelingen, so würden ihre Siege nicht bloß Eroberungen im Felde der Literatur überhaupt zur Folge haben, sondern für die Energie des deutschen Charakters insbesondere sehr ersprießlich seyn; nur ist es immer schwer, durch allgemeine Ideen auf die freiwilligen Produkte der Einbildungskraft einwirken zu wollen, und überdieß dürfte eine demagogische Comödie, wie die der Griechen, bei dem jetzigen Zustand der europäischen Gesellschaft unstatthaft seyn.
    Aristophanes lebte in einer so rein republikanischen Verfassung, daß zu seiner Zeit alles dem Volke mitgetheilt werden mußte, und daß folglich Staatsangelegenheiten, die so eben auf dem öffentlichen Platze abgehandelt worden waren, füglich von da auf das Theater gebracht werden konnten. Er lebte in einem Lande, wo die philosophischen Speculationen allen Menschen fast eben so geläufig waren als die Meisterwerke der Kunst, weil alles unter freiem Himmel gelehrt, und die abgezogensten Ideen mit den glänzendsten Farben vorgetragen wurden, die ihnen die schöne Natur und der schöne Himmel Griechenlands lieh; wie könnten wir aber hoffen, in unsern frostigen Gegenden, in unsern engen Gebäuden, diesen herrlichen Lebenssaft wieder aufzufrischen?
    Die neuere Menschenbildung hat die Beobachtungen über das menschliche Herz vervielfältigt; der Mensch hat den Menschen besser kennen gelernt; das, so zu sagen, ausgespreitete Gemüth bietet dem Schriftsteller tausend neue Schattirungen dar. Der Comiker faßt diese Schattirungen auf, und gelingt es ihm, sie vermittelst dramatischer Situationen zu heben, so entzückt es den Zuschauer, auf der Bühne Charaktere wieder zu finden, wie sie ihm im gemeinen Leben aufstoßen; aber die Aufstellung des Volks in der Comödie, der Chöre in der Tragödie, allegorischer Personen, philosophischer Secten, kurz die Einführung der Menschen in Masse oder in der Abstraktion, kann den heutigen Zuschauern unmöglich gefallen. Wir verlangen Namen und wirkliche Individuen; wir suchen das romanhafte Interesse selbst in der Comödie, und die Gesellschaft auf der Bühne.
    Unter den Schriftstellern der neuern Schule ist Tiek derjenige, der den meisten Sinn für den Scherz hat. Zwar kann kein einziges seiner Lustspiele aufgeführt werden; zwar sind die, welche er schrieb, weder gut angelegt, noch gut durchgeführt; aber sie enthalten glänzende Spuren einer originellen Laune. Vor allem gelingt es ihm, wie Lafontaine, den Thieren Spott in den Mund zu legen, oder ihn durch sie zu veranlassen. Er hat ein Lustspiel in dieser Gattung geschrieben, und es der gestiefelte Kater betitelt. Es ist von großem Werth. Ich kann nicht wissen, welche Wirkung redende Thiere auf der Bühne machen würden; vielleicht ist es unterhaltender, sie sich zu denken, als sie wirklich zu sehen und zu hören; gleichwohl ist in meinen Augen die Aufstellung der personificirten und nach Art der Menschen handelnden Thiere, die wahre Comödie, von der Natur selbst aufgeführt. Alle komische, d. h. egoistisch-sinnliche, Rollen hängen mehr oder weniger mit dem Thiergeschlechte zusammen. Gleich viel also, ob das Thier den Menschen, oder der Mensch das Thier nachahmt.
    Tiek interessirt auch durch die Tendenz, die er seinem Spotttalent zu geben weiß; er

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