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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Frieden zu leben gewohnte, Eigenliebe empfindlich verletzt seyn, und man könnte eben so leicht das Unglück haben, gegen eine strenge Tugend, anzustreiten, die vor einem unschuldigen Scherz zurückschrecken würde.
    Selten stellen die Deutschen, in ihren Lustspielen, Nationallächerlichkeiten auf; da sie nicht einmal Andere beobachten, so beobachten sie sich noch weniger selbst in ihren äußern Verhältnissen; es hieße dies, in ihren Augen, fast gegen die Rechtlichkeit, die sie einander schuldig sind, verstoßen. Ueberdies macht die Empfindlichkeit, doch ein Hauptunterscheidungszug ihrer Natur, es ihnen überaus schwer, die Waffen des Spottes mit leichter Hand zu führen; oft verstehen sie den Spott nicht, und wenn sie ihn auch verstehen, so verstehen sie keinen Scherz, werden böse, und bedienen sich nicht derselben Waffen gegen den Angriff; der Spott ist für sie ein Feuergewehr; sie laden zu stark, und fürchten sich, daß es in ihren Händen zerplatze.
    Es giebt daher der deutschen Lustspiele wenig, deren Inhalt die Lächerlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens sind. Die natürliche individuelle Originalität ist öfter der Gegenstand der komischen Muse. In einem Lande, wo der Despotismus der Gewohnheit nicht in einer großen Hauptstadt seine Sitzungen hält, lebt jeder auf seine Weise; gleichwohl, obschon man in Deutschland in Hinsicht auf die öffentliche Meinung freier als selbst in England lebt, hat die englische Originalität grellere Farben, weil die allgemeine Bewegung im politischen Zustande von Großbritannien dem Einzelnen mehr Gelegenheit giebt, sich zu zeigen wie er ist.
    Im südlichen Deutschland, besonders in Wien, findet man sehr viel Lustigkeit in den Possen und in der Opera Buffa. Ihr Tyroler Wastel, ihr Kasperl hat einen eigenthümlichen Charakter. Ueberhaupt entsagen die Verfasser der niedrig-komischen Stücke aller Anmaßung auf Eleganz und Kunstfeinheit; sie stellen sich in ihrer ganzen Natürlichkeit hin, stehen kräftig und ungezwungen da, machen sichs bequem, und bieten dreist der gesuchten Grazie Trotz. Die Deutschen ziehen, in ihrem Komischen, das Kräftige dem Nüancirten vor; in den Trauerspielen suchen sie Wahrheit, in den Lustspielen Caricatur. Mit jeder Zartheit des Herzens sind sie bekannt, nur die Feinheit des gesellschaftlichen Geistes und Witzes ist ihnen nicht lustig genug; die Mühe, ihn aufzusuchen, benimmt ihnen einen Theil des Genusses.
    Iffland ist der erste Schauspieler, den Deutschland besitzt, und einer der geistvollsten deutschen Schriftsteller. Ich werde im folgenden Capitel auf ihn zurückkommen, und weitläuftiger über ihn urtheilen. Hier nur so viel. Seine Stücke zeichnen sich vorzüglich durch Sitten- und Charakterschilderung aus; es sind Familiengemälde von treffender Wahrheit und treuer Nachahmung der Natur und der Gesellschaft. In jedem seiner Stücke treten echt-komische Personen auf, die dem Ganzen Leben und Farbe geben. Gleichwohl würde man vielleicht in Frankreich seine Lustspiele zu ernsthaft, zu vernünftig finden; sie binden sich zu streng an die Inschrift unserer Schauspielhäuser: Ridendo corrigit mores. Es kommen zu oft verschuldete Söhne, Väter mit zerrütteten Finanzen etc. vor. Predigten der Moral gehören nicht eigentlich ins Lustspiel, können sogar auf der Bühne nachtheilig seyn; hier langweilen sie; und diesen Eindruck der Langeweile, den wir aus dem Kunstleben nach Hause brachten, bringen wir nicht selten ins wirkliche Leben mit. 
    Kotzebue hat von einem dänischen Dichter, Holberg, ein Lustspiel geborgt und umgearbeitet, welches in Deutschland großes Glück gemacht; es heißt Don Ranudo de Colibrados. Ein Edelmann von altem Adel ist verarmt, will aber noch immer für reich und vornehm gelten, und verwendet auf äußern Prunk, was kaum für den Unterhalt seiner Person und seiner Familie hinreichen würde. Dieses Stück ist so zu sagen das Widerspiel, wenigstens das Gegenbild von Moliere's geadeltem Kaufmann, und enthält eine Menge witziger, echt-komischer Auftritte, nur ist Holbergs Comik roh und wild. Moliere's lächerliche Person, der Kaufmann, der sich gern adeln ließe, ist lustig; Holbergs komische Person ist im Unglück, und erregt im Grunde Traurigkeit. Es gehört überhaupt eine seltene Geistesunerschrockenheit dazu, das menschliche Leben von der lächerlichen Seite aufzufassen; das komische Genie setzt wenigstens ein leichtes sorgloses Gemüth voraus; allein es darf nicht zu weit gehen, und dem natürlichen Mitleiden

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