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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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richtet es ganz gegen den berechnenden prosaischen Geist, und da die meisten gesellschaftlichen Spötter den Enthusiasmus zur Zielscheibe des Lächerlichen machen, so ist der Schriftsteller in unsern Augen viel werth, der die Klugheit, den Egoismus, und alle sogenannte Vernunft packt und schüttelt, hinter welche sich die mittelmäßigen Naturen verbergen, und von dieser sichern Schutzwehr aus ihre Pfeile gegen die höhern Talente und Charaktere abdrücken. Sie stützen sich, die Schwächlinge, auf das, was sie das richtige Maaß nennen, um alles zu tadeln, was sich auszeichnet; und während die Eleganz im entbehrlichen Ueberfluß an Gegenständen des äußern Luxus besteht, möchten sie, daß eben diese Eleganz den Luxus im Geist, die Spannkraft in den Gefühlen, kurz alles niederschlüge, was nicht geradezu geeignet ist, weltliche Geschäfte zu fördern. Der heutige Egoismus besitzt die Kunstfertigkeit, immer alles zu loben, was nach Bedächtigkeit, nach Maaß und Gewicht schmeckt; das heißt, die Maske der Weisheit vorthun, und nur spät hat man einsehen lernen, daß dergleichen Meinungen mit der Zeit den Genius der schönen Künste, Großmuth, Liebe und Religion, vernichten könnten; und was bliebe uns dann noch übrig, was sich der Mühe zu leben verlohnte?
    Zwei Lustspiele von Tieck, Kaiser Octavianus und der Prinz Zerbino , sind sinnreich angelegt und ausgeführt. Ein Sohn des Kaisers Octavianus (eine erdichtete Person, die ein Feenmärchen zur Zeit König Dagoberts leben läßt) ist in der Wiege verloren gegangen, und im Walde von einem Pariser Bürger gefunden worden, der ihn mit seinem eignen Sohn erzieht, und für dessen Vater gilt. Der junge Fürst erreicht das zwanzigste Jahr, entwickelt bei jeder Gelegenheit edle heldenmüthige Gesinnungen; nichts ist unterhaltender als der beständige Contrast zwischen ihm und seinem vermeintlichen Bruder, dessen Blut die erhaltene Erziehung nicht verleugnet. Die Versuche des guten Bürgers, seinem Pflegesohn einige häusliche Lehren in den Kopf zu pressen, sind vergebens; er schickt ihn auf den Markt, daß er ihm ein Joch Ochsen kaufe; der junge Mann kauft sie, treibt sie nach Haus, trifft unterwegs einen Jäger mit einem Falken; giebt für den schönen Falken mit Freuden die Stiere, und kommt mit dem Vogel auf der Faust, stolz über seinen Ankauf, zurück. Ein andermal sieht er ein Streitroß, dessen martialisches Ansehen ihn außer sich setzt; er frägt nach dem Preise, findet ihn weit unter dem Werthe des Thiers, und bezahlt das Doppelte.
    Sein angeblicher Vater widersteht lange der natürlichen Anlage des Jünglings, der sich mit Feuer in die Laufbahn des Ruhms und der Gefahren stürzt. Zuletzt vermag er nicht, ihn abzuhalten, wider die Sarazenen, welche Paris belagern, die Waffen zu ergreifen; er hört von allen Seiten seine Thaten preisen; nun ergreift den alten ehrlichen Bürger mit einemmal eine poetische ansteckende Anwandlung; nichts ist lustiger, als das seltsame Gemisch dessen, was er ist und was er seyn will; er spricht das neue Gefühl in gemeinen mit Riesenbildern verbrämten Reden aus. Endlich wird der Jüngling für den Sohn des Kaisers erkannt, und jeder tritt wieder an seine Stelle und zu seinem Charakter zurück. Der Stoff liefert eine Menge witziger, echt-komischer Scenen; der Gegensatz des gemeinen Lebens mit dem Ritterthume kann nicht besser ausgedrückt werden.
    Prinz Zerbino ist die geistreiche Beschreibung eines Hofes, der über die Neigung seines Souverains zum Enthusiasmus, zu freiwilligen Opfern, zu allen edlen Unbesonnenheiten eines großen Charakters, erstaunt. Die alten Hofleute haben ihren Fürsten im Verdacht der Narrheit, und geben ihm den Rath, auf Reisen zu gehen, um zu sehen, wie es außer seinem Reiche zugeht. Man giebt ihm einen sehr vernünftigen Erzieher mit, der ihn in das positive Leben zurückleiten soll. Dieser geht einmal mit seinem Zögling spazieren; sie sind an einem schönen Sommertage in einem schönen Walde, hören die Vögel singen, hören das Geräusch des Windes im Laube, hören die belebte Natur von allen Seiten den Menschen in ihrer prophetischen Sprache anreden. Der Erzieher findet in diesen unbestimmten vielfältigen Empfindungen nichts als Verwirrung und Lärmen; sie kehren in das Schloß zurück, und er freut sich, die Bäume in Hausgeräth verwandelt, die Naturprodukte dem Gebrauch untergeordnet, und eine erkünstelte Regelmäßigkeit an die Stelle der geräuschvollen Bewegung der Existenz gebracht zu

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