Ueber Deutschland
Spanischen Bühne entlehnt. Die dreisten theatralischen Schöpfungen sind in Frankreich selten; die französische Literatur liebt den sichern ruhigen Gang; hat sie sich aber durch ein glückliches Zusammentreffen von Umständen, in eine gefahrvolle Bahn gewagt, so weiß der Geschmack die Keckheit mit bewundernswürdiger Künstlichkeit zu leiten, so daß aus einer fremden Dichtung, von französischen Händen bearbeitet, fast immer ein Meisterstück wird.
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Sieben und zwanzigstes Capitel. Von der Declamation.
Da die dramatische Kunst kein bestehendes Werk hinzustellen vermag und nur in der Erinnerung Spuren hinterläßt, hat man wenig über das, worin sie besteht, nachgedacht. Nichts ist leichter als diese Kunst in ihrer Mittelmäßigkeit auszuüben, aber nicht mit Unrecht erzeugt sie in ihrer Vollendung solchen Enthusiasmus für sich, und weit entfernt, diese ihre Wirkung als eine flüchtige herabsetzen zu wollen, glaube ich vielmehr, daß sich gerechte Gründe, worauf sie beruht, nachweisen ließen. Selten vermag man im Leben, das innere Geheimniß des Menschen zu durchdringen. Die Falschheit und der Schein, die Kälte und die Bescheidenheit verändern, übertreiben, unterdrücken oder verschleiern, was im Grunde des Herzens vorgeht. Ein großer Künstler ruft die Merkmale der Wahrheit in Gefühlen und Charakteren hervor und bietet uns untrügliche Zeichen der wirklichen Regungen und Affecte dar. So viele von uns gehen durch das Leben, ohne von den Leidenschaften und ihrer Gewalt nur eine Ahnung zu haben, daß oft die Bühne dem Menschen zu einer Offenbarung seiner selbst wird, die ihn vor den Stürmen der Seele mit religiöser Furcht erfüllt. Und in der That, welche Worte vermöchten diese zu schildern, wie ein Ton, eine Bewegung, ein Blick! – Die Worte drücken weniger aus als der Ton, der Ton selbst weniger als das Mienenspiel, und eben das nicht Auszusprechende ist es, das uns ein genialischer Schauspieler erkennen läßt.
Dieselben Verschiedenheiten, die zwischen der deutschen Tragödie und der französischen obwalten, finden auch in ihrem dramatischen Vortrage statt. Die Deutschen halten sich aus allen Kräften an die Natur. Sie sind nur in ihrem Streben nach Einfachheit gesucht, und dieses kann auch wohl in den schönen Künsten zu einer Künstelei ausarten. Die deutschen Schauspieler greifen tief in das Herz des Zuschauers, oder sie lassen ihn ganz kalt. Sie bauen dann mit Zuversicht auf seine Geduld. Die Engländer haben mehr Majestät als sie im Vortrag der Verse, und sind doch von der gehaltenen Pracht entfernt, die bei den Franzosen die Tragödie von dem Künstler erfodert. Unsere Art verträgt das Mittelmäßige nicht, und man kommt in der Darstellung der französischen Tragödie nur durch die Vollendung der Kunst zur Natur zurück. In Deutschland sind die Schauspieler vom zweiten Range ohne Wärme und Bewegung, sie verfehlen oft die tragische Wirkung, aber sie werden fast nie lächerlich. Es geht in Deutschland auf der Bühne wie in der Gesellschaft zu; da sind Leute, die bisweilen langweilig werden, aber es hat dabei sein Bewenden. Auf der französischen Bühne aber werden uns die, die uns nicht rühren, völlig unerträglich. Durch solchen mißtönigen Wortschwall wird uns die Tragödie dergestalt zum Eckel, daß die pöbelmäßigste Parodie dieser erkünstelten Abgeschmacktheit vorgezogen werden muß.
Die Beihülfen der dramatischen Kunst, die Maschinerien und Dekorationen, erfodern in Deutschland mehr Sorgfalt als in Frankreich, da sie die Tragödie öfters in Anspruch nimmt. In Berlin hat Iffland alles zu leisten gewußt, was man in dieser Hinsicht wünschen kann; in Wien aber wird selbst das Nothdürftigste der Vorstellung vernachlässigt. Die französischen Schauspieler üben ungleich mehr ihr Gedächtniß als die teutschen. In Wien mußte der Soufleur den mehrsten Schauspielern, jegliches Wort ihrer Rolle vorsagen, und ich habe ihn hinter den Coulissen den Othello nach dem Hintergrunde des Theaters zu verfolgen sehen, um ihm die Verse einzugeben, die er beim Morde Desdemonas herzusagen hat.
Die Einrichtung des Theaters zu Weimar ist unter allen Rücksichten weit vorzüglicher. Da haben ein geistreicher Fürst und ein Mann von Genie Kunst, Geschmack und Schönheitssinn mit der Kühnheit zu vermählen gewußt, die jedes neue Streben gewähren läßt.
In Weimar, wie überall in Teutschland, spielen dieselben Schauspieler tragische und komische Rollen. Man
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