Ueber Deutschland
Kissen ohne eine zitternde Brust, und auf seinem lächelnden Angesicht stand ein glücklicher Traum. Aber da ein lebendiger hinein trat, erwachte er und lächelte nicht mehr, er schlug mühsam ziehend das schwere Augenlied auf, aber innen lag kein Auge und in der schlagenden Brust war statt des Herzens eine Wunde. Er hob die Hände empor und faltete sie zu einem Gebet; aber die Arme verlängerten sich und löseten sich ab, und die Hände fielen gefaltet hinweg. Oben am Kirchengewölbe stand das Zifferblatt der Ewigkeit, auf dem keine Zahl erschien und das sein eigner Zeiger war; aber ein schwarzer Finger zeigte darauf und die Todten wollten die Zeit darauf sehen.
Jetzt sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder und alle Todte riefen: «Christus! ist kein Gott?»
Er antwortete: «es ist keiner.»
Der ganze Schatten eines jeden Todten erbebte, nicht blos die Brust allein, und einer um den andern, wurde durch das Zittern zertrennt.
Christus fuhr fort: «Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, so weit das Seyn seinen Schatten wirft und schauete in den Abgrund und rief: Vater, wo bist du; aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren schwarzen bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos, zernagte es und wiederkäuete sich. – Schreiet fort, Mißtöne, zerschreiet die Schatten: denn Er ist nicht!»
Die entfärbten Schatten zerflatterten, wie weißer Dunst, den der Frost gestaltet, im warmen Hauch zerrinnt; und alles wurde leer. O da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel, und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: «Jesus! haben wir keinen Vater?» – Und er antwortete mit strömenden Thränen: «wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.»
Da kreischten die Mißtöne heftiger – die zitternden Tempelmauern rückten auseinander – und der Tempel und die Kinder sanken unter – und die ganze Erde und die Sonne sanken nach – und das ganze Weltgebäude sank mit seiner Unermeßlichkeit vor uns vorbei. – u.s.w.
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Ich werde diesem Traum keine Betrachtungen hinzufügen. Seine Wirkung auf die Leser hängt einzig von der Wendung ihrer Einbildungskraft ab; mich hat der düstere Geist, der darinnen herrscht, ergriffen, und es schien mir schön, die furchtbare Schrecken, welche die ihres Gottes beraubte Creatur ergreifen müssen, also jenseits des Grabes hinaus zu setzen.
Man würde kein Ende finden, wenn man die geistreichen und rührenden Romane ohne Zahl, welche die deutsche Literatur besitzt, einzeln recensiren wollte. Lafontaine's Romane insbesondere, welche alle Welt mit so großem Vergnügen, wenigstens einmal, durchliest, ziehen gemeiniglich mehr durch den Reiz der Details an, als durch den Plan der ihnen zum Grunde liegt. Reines Erfinden wird mit jedem Tage seltener, und es ist überdem nicht leicht, daß Romane, die die Sitten schildern, in verschiedenen Ländern gleichen Beifall finden. Der große Vorzug, den man demnach aus dem Studium der deutschen Literatur für die eigene ziehen kann, ist der Antrieb zum Wetteifer. Man muß Kraft zu eignen Dichtungen daraus zu schöpfen suchen, nicht fertige Werke, um sie geradezu zu übertragen.
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Neun und zwanzigstes Capitel. Von den deutschen Geschichtschreibern und von Johannes von Müller insbesondere.
In der Literatur ist die Geschichte das, was der Kenntniß der öffentlichen Angelegenheiten am nächsten tritt. Ein großer Geschichtschreiber ist beinahe ein Staatsmann; denn es ist sehr schwer über politische Begebenheiten richtig zu urtheilen, ohne, bis zu einem gewissen Punkte, die Fähigkeit zu besitzen, vermöge welcher sie geleitet werden; auch sieht man, daß die meisten Geschichtschreiber sich mit der Regierung ihres Landes auf gleicher Höhe befinden, und nur so schreiben, wie sie handeln könnten. Von allen Geschichtschreibern sind die des Alterthums die ersten, weil es keine Epoche giebt, wo Männer von großem Talent ein entschiedeneres Uebergewicht über ihr Vaterland ausgeübt
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