Ueber Deutschland
Gottheit als auf die lebendige Quelle aller Wunder der Welt, führet alles auf das geistige Sehen zurück, welches auch dem Blinden, und vielleicht in höherem Maße, als selbst uns zum Theil ward, und läßt ihn so in der Seele anschauen, was seinen verschlossenen Augen entrückt ist. Ich werde endlich noch ein sehr seltsames Fragment mittheilen, welches aber Jean Pauls Geist kenntlich zu machen, dienen kann.
«Der Atheismus,» sagt irgendwo Bayle, dürfte nicht vor der Furcht ewiger Leiden schützen.» Es ist ein großer Gedanke, welcher zu langem Nachdenken Stoff geben kann. Der Traum, den ich hier anführen will, kann betrachtet werden als diesem selben Gedanken Körper und Leben verleihend.
Es gleicht dieses Gesicht in etwas einem Fiebertraum, und will als solcher beurtheilt werden; unter anderer Hinsicht als der der Phantasie, mögte es strenge Rüge verdienen.
«Das Ziel dieser Dichtung,» sagt Jean Paul selbst, «ist die Entschuldigung ihrer Kühnheit. Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, daß in ihm alle Gefühle, die das Daseyn Gottes bejahen, zerstört wären: so würd' ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und – er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben. Die Menschen läugnen mit eben so wenig Gefühl das göttliche Daseyn als die meisten es annehmen. Sogar in unsere wahren Systeme sammeln wir immer nur Wörter, Spielmarken und Medaillen ein, wie geizige Münzkabinetter; – und erst spät setzen wir die Worte in Gefühle um, die Münzen in Genüsse. Man kann zwanzig Jahre lang die Unsterblichkeit der Seele glauben – – erst im ein und zwanzigsten, in einer großen Minute, erstaunt man über den reichen Inhalt dieses Glaubens, über die Wärme dieser Naphtaquelle.»
Rede des todten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sey.
Wenn man in der Kindheit erzählen hört, daß sich die Todten um Mitternacht, wo unser Schlaf nahe bis an die Seele reicht und selber die Träume verfinstert aus ihrem Aufrichten, und daß sie in den Kirchen den Gottesdienst der Lebendigen nachäffen: so schaudert man der Todten wegen vor dem Tode; und wendet in der nächtlichen Einsamkeit den Blick von den langen Fenstern der stillen Kirche weg und fürchtet sich, ihrem Schillern nachzuforschen, ob es vom Monde niederfalle. Die Kindheit, und noch mehr ihre Schrecken als ihre Entzückungen, nehmen im Traume wieder Flügel und Schimmer an, und spielen wie Johanneswürmchen in der kleinen Nacht der Seele. Zerdrücken uns diese flatternden Funken nicht! – Lasset uns sogar die dunkeln peinlichen Träume als hebende Halbschatten der Wirklichkeit! – Und womit will man uns die Träume ersetzen, die uns aus dem untern Getöse des Wasserfalls wegtragen in die stille Höhe der Kindheit, wo der Strom des Lebens noch in seiner kleinen Ebene schweigend und als ein Spiegel des Himmels seinen Abgründen entgegenzog? – Ich lag einmal an einem Sommerabende vor der Sonne auf einem Berge und entschlief. Da träumte mir, ich erwachte auf dem Gottesacker. Die abrollenden Räder der Thurmuhr, die eilf Uhr schlug, hatten mich erweckt. Ich suchte im ausgeleerten Nachthimmel die Sonne, weil ich glaubte, eine Sonnenfinsterniß verhülle sie mit dem Mond. Alle Gräber waren aufgethan, und die eisernen Thüren des Gebeinhauses gingen unter unsichtbaren Händen auf und zu. An den Mauern flogen Schatten, die niemand warf, und andere Schatten gingen aufrecht in der blassen Luft. In den offnen Särgen schlief nichts mehr als die Kinder. Am Himmel hing in großen Falten blos ein grauer schwüler Nebel, den ein Riesenschatte wie ein Netz immer näher, enger und heisser herein zog. Ueber mir hört' ich den fernen Fall der Lawinen, unter mir den ersten Tritt eines unermeßlichen Erdbebens. Die Kirche schwankte auf und nieder von zwei unaufhörlichen Mißtönen, die in ihr mit einander kämpften und vergeblich zu einem Wohllaut zusammenfließen wollten. Zuweilen hüpfte an ihren Fenstern ein grauer Schimmer hinan und unter dem Schimmer lief das Blei und Eisen zerschmolzen nieder. Das Netz des Nebels und die schwankende Erde rückten mich in den fürchterlichen Tempel, vor dessen Thore in zwei Gift-Hecken zwei Basilisken funkelnd brüteten. Ich ging durch unbekannte Schatten, denen alte Jahrhunderte aufgedruckt waren. – Alle Schatten standen um den leeren Altar, und allen zitterte und schlug statt des Herzens die Brust. Nur ein Todter, der erst in die Kirche begraben worden, lag noch auf seinem
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