Ueber Deutschland
hätten. Den zweiten Rang behaupten die englischen Geschichtschreiber; in England ist es bei weitem mehr die Nation, als der einzelne Mann, was Größe hat; auch sind die Geschichtschreiber dieses Landes zwar minder dramatisch, aber philosophischer, als die Alten. Bei den Engländern haben allgemeine Ideen größere Wichtigkeit, als Individuen. Unter Italiens Geschichtschreibern ist Macchiavelli der Einzige, der die Begebenheiten seines Vaterlandes auf eine allgemeine, wenn gleich fürchterliche Weise betrachtet hat; alle übrigen haben die Welt in ihrer Stadt gesehen; ein Patriotismus, der, wie beengt et auch seyn mag, den Schriften der Italiener noch Interesse und Leben giebt – [Herr von Sismondi hat diese besonderen Interessen der italienischen Republiken von neuem zu beleben verstanden, indem er sie in Verbindung gesetzt hat, mit den großen Fragen, welche die gesammte Menschheit angehen.] . Zu allen Zeiten hat man bemerkt, daß in Frankreich die Denkwürdigkeiten (Memoires) gewichtiger waren, als die Geschichtswerke; die Intriguen der Höfe entschieden das Schicksal des Königreichs, es war also sehr natürlich, daß in einem solchen Lande besondere Anekdoten das Geheimniß der Geschichte in sich schlossen.
Aus dem literärischen Gesichtspunkt muß man die deutschen Historiker betrachten. Die politische Existenz des Landes hat bis jetzt noch nicht hinlängliche Kraft gehabt, um den Schriftstellern in dieser Gattung einen National-Charakter zu geben. Das eigenthümliche Talent des Einzelnen und die allgemeinen Principe der Kunst, die Geschichte zu schreiben, haben auf die Produktionen des menschlichen Geistes in diesem Fache allein Einfluß gehabt. Wie mir scheint, kann man die verschiedenen historischen Schriften in Deutschland in drei Hauptklassen theilen, nämlich in die gelehrte Geschichte, in die philosophische Geschichte und in die klassische Geschichte, sofern der Sinn dieses Ausdrucks sich auf die Kunst zu erzählen beschränkt, sowie die Alten ihn gefaßt haben.
Deutschland hat einen Ueberfluß an gelehrten Historikern, wie Mascow, Schöpflin, Schlözer, Gatterer, Schmidt u.s.w. Sie haben unermeßliche Nachforschungen angestellt und nur Werke geliefert, worin sich für den, der zu studiren versteht, alles befindet. Aber dergleichen Schriftsteller sind nur zum Nachschlagen, und ihre Arbeiten würden vor allen die schätzbarsten und großmüthigsten seyn, wenn sie nie einen anderen Zweck gehabt hätten, als Männern von Genie, welche die Geschichte schreiben wollen, Mühe zu ersparen.
Schiller steht an der Spitze der philosophischen Geschichtschreiber, d. h. derjenigen, welche die Facta wie Raisonnements zur Unterstützung ihrer Meinungen betrachten. Die Revolution (der Abfall) der Niederlande lieset sich wie eine gerichtliche Rede voll Interesse und Wärme. Der dreißigjährige Krieg ist eine von den Epochen, wo die deutsche Nation die meiste Energie bewiesen hat. Schiller hat die Geschichte desselben mit einem Gefühl von Patriotismus und von Liebe für Aufklärung und Freiheit geschrieben, welche seinem Herzen eben so viel Ehre bringen, wie seinem Genie. Die Züge, wodurch er die Hauptpersonen charakterisirt, verrathen eine erstaunliche Ueberlegenheit, und alle seine Reflexionen gehen aus der Andacht eines großen Gemüths hervor. Indeß beschuldigen die Deutschen den Geschichtschreiber, die Thatsachen nicht in ihren Quellen studirt zu haben; er konnte nicht allen Bahnen, für welche seine seltenen Talente ihn beriefen, genügen, und seine Geschichte ist nicht auf ausgebreitete Gelehrsamkeit gegründet. Die Deutschen, wie ich zu sagen schon öfter Gelegenheit gefunden habe, die Deutschen haben zuerst gefühlt, welchen Vortheil die Einbildungskraft von der Gelehrsamkeit ziehen kann; die einzelnen Umstände geben allein der Geschichte Farbe und Leben; auf der Oberfläche der Erkenntnisse findet man nur einen Vorwand für Raisonnement und Witz.
Schillers Geschichte ist in der Epoche des achtzehnten Jahrhunderts geschrieben, wo man aus allem Waffen schmiedete, und sein Styl schmeckt ein wenig nach der Polemik, welche damals in den meisten Schriften herrschte. Allein wenn der Zweck, den man sich setzet, Duldung und Freiheit ist, und wenn man diesem Zweck durch so edle Mittel und Gefühle entgegenstrebt, wie Schiller; so schreibt man selbst dann noch ein schönes Werk, wenn in dem Theile, der den Thatsachen und den Reflexionen gewidmet ist, das Eine und das Andere vermißt werden sollte. [Unter den
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