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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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philosophischen Geschichtschreibern darf Herr Heeren nicht vergessen werden, er hat Betrachtungen über die Kreuzzüge geschrieben, in welchen eine vollkommne Unpartheilichkeit das Resultat der seltensten Kenntnisse und der Vernunftkraft ist.]  
    Vermöge eines seltsamen Contrastes ist Schiller, der große dramatische Schriftsteller, unter den Geschichtschreibern der, welcher vielleicht allzu viel Philosophie und folglich zu viel allgemeine Ideen in seine Erzählungen verwebt hat; und wiederum Müller, der Gelehrteste unter den Historikern, der, welcher sich in seiner Manier, die Begebenheiten und die Menschen darzustellen, am meisten als Dichter gezeigt hat. In der Geschichte der Schweiz muß man den Gelehrten und den Schriftsteller von großem Talent unterscheiden; denn nur auf diesem Wege kann man dahin gelangen, Müllern Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Er war ein Mann von unerhörtem Wissen, und seine Fähigkeiten flößten in dieser Hinsicht wahre Furcht ein. Man begriff nicht, wie der Kopf einesMenschen eine solche Welt von Thatsachen und Daten in sich schließen könnte. Die uns bekannten sechs tausend Jahre waren in seinem Gedächtniß vollkommen geordnet, und seine Studien waren so gründlich gewesen, daß sie die Lebendigkeit der Zurückerinnerungen hatten. In der Schweiz giebt es kein Dorf, keine adeliche Familie, deren Geschichte er nicht kannte. Man fragte ihn eines Tages, in Folge einer Wette, nach der Folge der souverainen Grafen von Bugey, und er nannte sie auf der Stelle, nur, daß er sich nicht genau erinnerte, ob einer von den Genannten Regent oder Titular gewesen sey: ein Gedächtnißfehler, über welchen er sich ernsthafte Vorwürfe machte. Bei den Alten waren Männer von Genie nicht dieser unermeßlichen Arbeit von Gelehrsamkeit unterworfen, die sich mit den Jahrhunderten immer mehr anhäuft; ihre Einbildungskraft wurde durch das Studium nicht ermüdet. Um sich in unseren Tagen auszuzeichnen, kostet es mehr; und man muß Achtung hegen für die unermüdliche Mühe, deren es bedarf, um sich des Gegenstandes zu bemächtigen, den man behandeln will. [Unter Müllers Schülern muß der Baron von Hormayr, der den österreichischen Plutarch geschrieben hat, als einer der ersten betrachtet werden. Man fühlt, daß seine Geschichte nicht nach Büchern, sondern nach Original-Manuscripten geschrieben ist. Der Doktor Dekarro, ein gelehrter Genfer, der sich zu Wien niedergelassen hat, und durch dessen wohlthätige Thätigkeit die Kuhpockenimpfung bis nach Asien verpflanzt worden ist, wird eine Uebersetzung dieser Lebensbeschreibungen großer Männer Oesterreichs besorgen, welche das größte Interesse erregen muß.] 
    Müllers Leben kann verschieden beurtheilt werden; aber sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust; denn wenn ein Mann von solchen Fähigkeiten stirbt, so glaubt man, daß Mehrere ausscheiden.
    Müller, den man als den wahrhaft klassischen Geschichtschreiber Deutschlands betrachten kann, las die griechischen und römischen Autoren fortdauernd in der Ursprache; zugleich befaßte er sich mit der Literatur und den schönen Künsten, um sie für die Geschichte zu benutzen. Seine gränzenlose Gelehrsamkeit schadete seiner natürlichen Lebendigkeit so wenig, daß sie die Grundlage war, worauf seine Einbildungskraft sich erhob, und die lebendige Wahrheit seiner Gemälde hing mit deren gewissenhaften Treue zusammen. Indeß, wenn er sich seiner Gelehrsamkeit vortrefflich zu bedienen wußte, so verstand er die Kunst nicht, sich zu gehöriger Zeit davon loszumachen. Seine Geschichte ist viel zu lang; er hat das Ganze nicht gehörig an einander geschlossen. Details sind nothwendig, um der Erzählung von Begebenheiten Interesse zu geben: aber unter den Begebenheiten muß man die auswählen, welche erzählt zu werden verdienen.
    Müllers Werk ist eine beredte Chronik. Wenn alle Geschichten so gearbeitet wären, so würde das Leben des Menschen angewendet werden müssen, um das Leben der Menschen zu lesen; es wäre also zu wünschen, daß sich Müller von dem Umfange seiner Kenntnisse minder hätte verführen lassen. Bei dem allen werden die Leser, welche, durch die richtige Anwendung der Zeit, Zeit zu gewinnen verstehen, ein immer neues Vergnügen an diesen berühmten Jahrbüchern der Schweiz finden. Die Vorreden sind wahre Meisterstücke der Beredsamkeit. Niemand hat in seinen Schriften einen kräftigeren Patriotismus gezeigt; und jetzt, wo er nicht mehr ist, muß man ihn blos nach seinen Schriften

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