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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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wunderliche Gewohnheit auf, aus allerlei alten, vergessenen und wissenschaftlichen Büchern, Bilder und Anspielungen zu entlehnen; was er auf die Weise zusammenstellt, ist gewöhnlich sehr sinnreich, wo aber, um in einen Scherz einzugehen, Aufmerksamkeit und Nachdenken erfordert wird, da möchten nicht leicht andere als die Deutschen geneigt seyn, auf dem Weg des Studiums zum Lachen zu gelangen, und sich mit gleicher Anstrengung belustigen als belehren zu lassen.
    Bei dem allen liegt in diesen Schriften ein Schatz von neuen Ansichten und Gedanken, der den, welchem es gelingt, ihn herauszugraben, ungemein bereichert; doch hat der Verfasser dieses Gold zu prägen vernachlässigt. Der Scherz entspringt bei den Franzosen aus dem Geiste der Unterhaltung, bei den Italienern aus der Phantasie, bei den Engländern aus der Eigenthümlichkeit des Characters. Der Scherz der Deutschen ist philosophisch, sie scherzen mehr mit den Dingen und mit den Büchern als mit ihren Mitmenschen, sie hegen zusammengehäuft in ihrem Geiste eine Welt von Kenntnissen, welche eine unabhängige und launische Einbildungskraft auf tausendfältige Weise unter sich verbindet, bald eigenthümlich, bald verworren, doch zeigt sich Stärke des Geistes und der Seele überall in diesen Spielen.
    Jean Paul hat öfters Aehnlichkeit mit Montaigne in der Wendung des Geistes. Die ältern Franzosen überhaupt nähern sich den Deutschen mehr als die Schriftsteller des Jahrhunderts Ludwigs des Vierzehnten, weil die französische Literatur eben erst zu dieser Zeit ihre klassische Richtung angenommen hat.
    Jean Paul ist öfters von großer Erhabenheit im ernsten Theile seiner Werke, doch erschüttert uns auch manchmal die fortwährende Schwermuth seiner Schreibart bis zur Ermattung. Wenn uns die Phantasie zu lange in Unbestimmtheit wieget, verwirren sich zuletzt ihre Farben vor unserm Blick, die Umrisse verschwinden, und uns bleibt anstatt einer Erinnerung nur ein Nachhall zurück. Die Empfindsamkeit Jean Pauls rührt zwar, stärkt aber nicht genugsam die Seele. Die Poesie seiner Schreibart gleicht den Tönen der Harmonica, die Anfangs entzücken, aber nach kurzer Zeit peinlich werden, weil ihrem erschütternden Reiz kein bestimmtet Gegenstand entspringt. Man leistet den frostigen, dürren Gemüthern zu viel Vorschub, wenn man ihnen das Gefühl als eine Krankheil darstellt, indem es unter den moralischen Gaben die mächtigste ist, die zugleich die Begierde und die Kraft geben kann, sich für Andere aufzuopfern.
    In Jean Pauls Romanen scheint öfters die Hauptgeschichte nur ein schwacher Vorwand zu seyn, Episoden an einander zu reihen. Ich werde drei von diesen Episoden rührender Art, ohne Wahl, und wie sie mir der Zufall darbietet, hier anführen, damit man daraus auf das übrige schließen könne. – Ein englischer Lord verliert beide Augen durch den Staar, er läßt sich ihn an einem Auge stechen, und die mißglückte Operation macht es unwiederbringlich blind. – Sein Sohn, ohne es ihm zu sagen, studiert bei einem Augenarzt, und wird nach einem Jahre fähig erfunden, das Auge, das dem Vater noch gerettet werden kann, selbst zu operiren. – Der Lord, der fremden Händen sich anzuvertrauen glaubt, unterzieht sich mit Standhaftigkeit der Prüfung, die entscheiden soll, ob er seine übrigen Tage in hoffnungsloser Blindheit zubringen wird. Er will sogar, daß sein Sohn aus dem Zimmer entfernt werde, damit ihn nicht die furchtbare Entscheidung zu sehr erschüttre. Stillschweigends naht der Sohn, ihm zittert nicht die Hand; der Moment ist zu gewaltig für die Merkmale gewöhnlicher Rührung. – Seine ganze Seele zieht sich in einem einzigen Gedanken zusammen; und selbst die Größe seiner Zärtlichkeit giebt ihm eine übernatürliche Gegenwart des Geistes, auf die Wahnsinn folgen würde, wenn alle Hoffnung verloren wäre. Die Operation fällt glücklich aus, und beim ersten Strahl des wieder gewonnenen Lichtes erblickt der Vater den wohlthätigen Stahl in der Hand des eigenen Sohnes.
    In einem anderen Roman desselben Verfassers findet sich ein gleichfalls sehr rührendes Bild. Ein blinder Jüngling begehrt, daß man ihm den Untergang der Sonne beschreibe, deren milder und reiner Strahl ihm als ein scheidender Freund erscheint. Der, den er befragt, erzählt ihm die Natur in ihrer ganzen Pracht, doch giebt er seiner Schilderung einen melankolischen Anklang, der dem Unglücklichen, vom Lichte beraubten, zum Troste gereichen muß. Er bezieht sich fortdauernd auf die

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