Ueber Deutschland
vielleicht ungleich mehr zu, als die Gedanken; und dennoch läßt sich die so lebhafte Wirkung von so zarten Mitteln auf Fremde keinesweges übertragen.
Claudius zeichnet sich unter den deutschen Schriftstellern durch jenen Nationalwitz aus, der einen ausschließlichen Erbtheil jeglicher Literatur bildet. Er hat eine Sammlung einzelner kleiner Schriften verschiedenen Inhalts herausgegeben, unter welchen einige von schlechtem Geschmack und andere unbedeutend sind; aber die Eigenthümlichkeit und die Wahrheit, die darinnen herrscht, verleihen den geringfügigsten Dingen Reiz. Er weiß mit einer anscheinend einfachen und manchmal sogar gemeinen Schreibart, durch Aufrichtigkeit des Gefühls bis ins tiefste Herz zu dringen. Er bewegt zu Thränen, wie zum Lachen, weil er Mitgefühl erregt, und uns an dem, was er selbst empfindet, einen Bruder und Freund zu erkennen giebt. Von Claudius Schriften läßt sich kein Auszug geben, sein Talent wirkt unmittelbar wie Gefühl, und man muß ihn selbst empfunden haben, um darüber sprechen zu können. Er gleicht den Malern der flamändischen Schule, die sich manchmal bis zur Darstellung des Höchsten in der Natur erheben, oder dem Spanier Murillos, der Bettler und Zigeuner mit einer vollkommenen Wahrheit malt, aber ihnen oft, ohne es selbst zu wissen, Züge von edlem und tiefem Ausdruck beimißt. Um mit Glück das Komische mit dem Pathetischen zu vermischen, muß man sich in beidem mit gleich außerordentlicher Natürlichkeit bewegen können. Sobald das Erzwungene durchblickt, zerfällt jeder Gegensatz in seine feindlichen Bestandtheile. Aber ein ausgezeichnetes, mit vieler Gutmüthigkeit ausgestattetes, Talent kann glücklich verbinden, was nur auf den Zügen des Kindes reitzend ist: Lächeln und Thränen.
Ein anderer Schriftsteller, neuer und berühmter als Claudius, hat sich durch Schriften, die man Romane nennen würde, wenn überhaupt eine bekannte Benennung so seltsamen Geistesprodukten anzueignen wäre, einen großen Ruf in Deutschland erworben. Jean Paul Richter besitzt unstreitig mehr Geist, als erfordert wird, ein Werk zu schreiben, welches Ausländer und Deutsche in gleichem Grad ergreifen könnte, und dennoch vermag nichts von dem, was er geliefert, die Gränzen der deutschen Zunge zu überschreiten. Seine Bewunderer werden dies der Eigenthümlichkeit seines Genius selbst zuschreiben; mir scheint es sowohl von seinen Mängeln als von seinen Vorzügen herzurühren. Man muß sich in unsern neueren Zeiten auf einen europäischen Standpunkt erheben. Die Deutschen begünstigen zu sehr in ihren Schriftstellern jene ausschweifende Kühnheit, die, wie verwegen sie sonst scheinen mag, nicht immer ungesucht und ungekünstelt ist. Die Frau von Lambert sagte zu ihrem Sohn: «mein lieber Sohn, erlaube Dir keine anderen tollen Streiche, als die, an welchen Du eine gar große Freude finden wirst.» Man möchte Jean Paul bitten, seltsam nur da zu seyn, wo er es eben seyn müßte. Alles, was willenlos gesagt wird, entspricht immer irgend einer Natur; wenn aber, durch Anspruch auf Eigenthümlichkeit, die angeborne Eigenthümlichkeit verderbt wird, kann der Leser selbst das Aufrichtige nicht ganz genießen, weil er vor dem Falschen auf seiner Hut ist.
Man findet jedoch in Jean Pauls Schriften bewundernswürdige Schönheiten, der Entwurf aber und der Rahmen seiner Gemälde sind so fehlerhaft, daß die lichtesten Strahlen des Genies sich darin wie in einem Chaos verlieren. Jean Pauls Werke müssen unter dem doppelten Gesichtspunkt des Ernstes und des Scherzes betrachtet werden, denn er vermengt fortwährend beide. Er legt mit Scharfsinn und Laune seine Beobachtungen des menschlichen Herzens dar, doch kennt er es mehrstens nur, wie es sich aus dem Standpunkt der kleinen Städte Deutschlands beurtheilen läßt, und seine Sittengemälde haben oft zu viel Unschuld für unsere Zeit. Aeußerst feine, ja fast kleinliche Bemerkungen über die moralischen Regungen, erinnern etwas an jenen Feinohr der Feenmärchen, der das Gras wachsen hörte. In dieser Hinsicht hat wohl Sterne einige Verwandtschaft mit Jean Paul; doch wenn er ihm im ernsten und poetischen Theile seiner Schriften nachsteht, ist er ihm an Geschmack und Schönheitssinn im Scherze überlegen, und man sieht, daß er in einer Gesellschaft gelebt hat, deren Verhältnisse ausgebreiteter und glänzender waren.
Man könnte aus Jean Pauls Schriften eine sehr merkwürdige Sammlung von Gedanken ausziehen. Wenn man ihn aber liest, fällt seine
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