Ueber Deutschland
Mittelalters so belesen, daß er oft unwillkürlich in demselben Style ganz natürlich schreibt. Seine Ausdrücke müssen wahr seyn, weil sie das bewirken, was sie in seiner Absicht bewirken sollen.
Bei der Lectüre von Müllers Werken möchte man so gern glauben, daß er eine von den Tugenden besessen, die er so richtig gefühlt hat. Wenigstens ist sein vor kurzem bekannt gewordenes Testament ein Beweis seiner Uneigennützigkeit. Er hinterlaßt kein Vermögen, und bittet, daß man zur Bezahlung seiner Schulden seine Manuscripte verkaufe. Wenn sie dazu ausreichen, so erlaubt er sich über seine Uhr zum Vortheil seines Bedienten zu verfügen. «Er wird sie, sagt er, nicht ohne Rührung empfangen, nachdem er sie zwanzig Iahre hindurch aufgezogen hat.» Die Armuth eines Mannes von so großem Talent ist immer ein ehrenvoller Umstand in seinem Leben; der tausendste Theil des Geistes, der berühmt macht, würde gewiß ausreichen, um alle Berechnungen der Geldgier gelingen zu machen. Es ist immer schön, seine Fähigkeiten dem Ruhme gewidmet zu haben, und man empfindet immer Achtung für die, deren liebster Zweck jenseits des Grabes befindlich ist.
————————
Dreißigstes Capitel. Herder.
In Deutschland sind die Gelehrten in vieler Hinsicht der achtungswürdigste Verein, den die aufgeklärte Welt darbieten kann; und unter diesen Männern verdient Herder noch einen besonderen Platz. Sein Gemüth, sein Genie und seine Sittlichkeit haben sein Leben verherrlicht. Seine Schriften können in drei verschiedene Beziehungen betrachtet]werden; nämlich Geschichte, Literatur und Theologie. Er hatte sich mit dem Alterthum im Allgemeinen, und mit den orientalischen Sprachen insbesondere beschäftigt. Seine Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit ist von allen deutschen Büchern vielleicht dasjenige, das mit dem meisten Zauber geschrieben ist. Man findet darin nicht dieselbe Tiefe politischer Bemerkungen, welche Montesquieu's Werke über die Ursachen der Größe und des Verfalls der Römer auszeichnet; allein da Herder darauf ausging, den Genius der entferntesten Jahrhunderte zu ergründen, so diente seine Einbildungskraft – eine Eigenschaft, die er im höchsten Grade besaß – vielleicht mehr, als jede andere, dazu, ihn damit bekannt zu machen. Es bedarf einer solchen Fackel, um durch die Dunkelheit zu wandeln, und die verschiedenen Capitel Herders über Persepolis und Babylon, über die Hebräer und Aegyptier, sind eine köstliche Lectüre. Man glaubt an der Seite eines historischen Dichters durch die alte Welt zu gehen; eines Zauberers, welcher die Trümmer mit seinem Stabe berührt und eingesunkene Gebäude vor unsern Augen wieder errichtet.
Selbst an Männer von dem größten Talent macht man in Deutschland die Forderung, daß sie eine ausgebreitete Gelehrsamkeit besitzen sollen, und Kritiker haben dieselbe bei Herdern wenigstens in sofern vermißt, als sie ihm die Gründlichkeit abgesprochen haben. Allein was uns im Gegentheil auffallen könnte, ist die große Mannichfaltigkeit seiner Kenntnisse. Er kannte alle Sprachen, und sein Versuch über die hebräische Poesie ist von allen seinen Werken dasjenige, worin man am besten erkennt, wie weit sein Tact über fremde Nationen reichte. Niemals hat man den Genius eines prophetischen Volks, für welches die poetische Begeisterung eine innige Beziehung mit der Gottheit bildete, glücklicher ausgedrückt. Die Irrsale dieses Volks, seine Sitten, die Gedanken, deren es fähig war, die Bilder, die ihm geläufig waren, sind von Herder mit erstaunlichem Scharfsinn angedeutet. Mit Hülfe der gelungensten Vergleichungen sucht er uns eine Idee von der Symmetrie des hebräischen Verses zu machen – von der Rückkehr desselben Gefühls oder desselben Bildes in verschiedenen Ausdrücken, wovon jede Stanze ein Beispiel giebt. Bisweilen vergleicht er diese glänzende Regelmäßigkeit mit zwei Perlenschnüren, welche den Haarwuchs einer schönen Frau umwinden. «Die Kunst und die Natur, sagt er, behalten immer eine gebietende Gleichförmigkeit mitten im Ueberfluß.» Lieset man die Psalmen der Hebräer nicht in der Ursprache, so ist es unmöglich, ihren Zauber noch stärker zu empfinden, als in dem, was Herder darüber sagt. Seine Einbildungskraft fühlte sich in der occidentalischen Welt beengt; mit Lust athmet er die Düfte Asiens; mit gleicher Lust verbreitete er durch seine Schriften den Weihrauch, den sein Gemüth daselbst gesammelt hatte.
Er zuerst machte die
Weitere Kostenlose Bücher